kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

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kaputte Gedichte

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Der Regenmacher
1

Die Sonne brennt tiefe schwarze Löcher ins Kleid der Erde. Lachend sitzt sie am gedeckten Tisch, leert See um See, Fluß um Fluß und Meer um Meer bis zum Grund. Seestern, Hummer, Hering und Makrele hängen aufgereiht auf einer Schnur aus Gold  neben Delphin, Wal und Seeelefant zum Trocknen im Wind, der ihre Gesichter alt und faltig macht. Die Fratze des Todes, des Dahingehens und Niewiederkehrens spricht aus ihren Augen, getrübt vom Glanz des Goldes. Baum und Strauch welken dahin, wie Blüten  im Frost, der in dunkler Nacht von des Berges weißer Höhe geschlichen kommt. Schlangen winden sich endlos knöchern im Geäst, Gespenstern gleich mit toten Seelen in leeren Körpern. Dunkle Schatten ohne Ende stinken übel hoch zum Himmel,  wo kein Geier sie umkreist und der so blau wie eh und je. Und wo dereinst der Erde Elefantenherde zur Tränke stapfte, liegt jetzt ihr weißes Bein zu Hauf, niemandes Reichtum mehrend. Einst gejagt, heut vergessen, wie so vieles auf dieser Welt. Elefant  und Baum, Delphin und Geier werden zu Staub, wie alles ringsum. Staub bedeckt die weite Erde.

2

Als Abgesandte all des Elends und der Not und der noch Lebenden machen sich auf: Seestern und Hummer, Hering und Makrele, Delphin und Wal, Schlange und Baum, Elefant und Geier und auch die Dornen der Savanne und die Grille voller Hoffnung. Sie suchen  den großen Zauberer, der Regen und Leben heißt. Zweimal viele Leben lang suchten sie vergebens voller Mühe, bis er ihnen entgegenkam und sie vom Tot erlöste. Riesenhaft wie ein Turm aus Bergen, sein Haupt aus Eis und Schnee, sein Haar dunkle  Wolken, aus den Augen stürzen Wasserströme in unermeßliche Tiefen, unter seiner Weste wuchert grün und bunt der Dschungel mit Baumriese und Tierzwerg, schön und wild. Und aus jedem Knopfloch steigen Adler auf zu ihren kühnen Flügen.  In seinen Fußabdrücken entstehen Meere neu und mit einem Fingerstrich malt er Flüsse in den Staub, der Erde zum Spaß. Sein Faustschlag läßt den Planet erzittern, Knochen fallen von den Bäumen und wenn er die Weste öffnet, dann  erblüht das Land auf seinem Weg. Aus seinen Taschen streut er neues Leben in den Staub, eine Prise Seestern und Hummer, Hering und Makrele, Delphin und Wal, Schlange und Elefant, Geier und Pirol.

3

Zu Hause ist er in seiner Werkstatt am Ende der Welt, der glatte Boden aus Kristallen von Eis, die Wände aus bewegtem Wasser und das Dach aus Wolken, grau und schwer im Wind. Ein Augenstrahl füllt Kessel voll auf riesigen Vulkanen. Ein Orkan spielt  den Blasebalg bis das Wasser brodelt, tosenden Meeren gleich, die kein Schiff je befährt. Riesige Säulen entsteigen der Kessel Rund, schwer und finster und leicht und weiß, recken sich empor gen Himmel. Wolken zu Säulen und Säulen zu Wolken,  Tropfen für Tropfen. Perlen reinsten Wassers und doch voller Leben, Tag für Tag. Sauber aufgestapelt nach Eignung und Bestimmung harren Wolkensäulen ihrem lebenspendenden Schicksal. Frisch frankiert gehen sie per Luftpost in alle Richtungen,  zu den im Sande verlaufenden Rinnsalen, daß sie schwellen zu reißenden Strömen, zu den modrigen Teichen, daß sie steigen zu wogenden Meeren, zu den Brunnen in den Wüsten, daß die Oasen erblühen, zu dem Staub, daß aus ihm neues  Leben erwache, und zu denen, die einst auszogen und suchten, sie zu laben.

4

Regen kommt über die Erde und belebt den tot geglaubten Baum. Zischend steigen heiße Dämpfe aus alten Wunden, Nebel gleich, brennender Stein wird wieder kalt und zerspringt in tausend Stücke. Dürstend saugt der Erde Leib jeden Tropfen Wasser  aus der Luft. In schlaffen Adern schlägt wieder ein schwacher Puls, stärker werdend mit den Jahren. Regen schwemmt all die alten Wunden zu mit sterilem Staub. Obenauf kommt eine Wiese mit singendem Grün, Teppich aus Gras. Gleich nebenan vielleicht  ein Wald und weiter hinten dann bleibt Platz für einen See mit blauen Wellen, die leise ans Ufer schlagen. So verheilen alte Wunden ohne Narben, Neues wird geboren. Immer noch dürstet die Erde, ihr Puls geht stärker schon. Der Regen bringt Wasser  für ihre Wüsten, wo wieder Flüsse ihr Bett in den Sand graben und Dünen werden ruhen nach großer Wanderung. Wo einst Feuer die Luft verbrannte und selbst Sand zu Asche wurde, wo verkohltes Gebein vergangener Generationen begraben liegt  und auch das Bild überm Horizont nur Tot und Elend zeigte, da stehen heute Alleen im Quadrat, soweit das Auge reicht. Auf Cheops Grab jetzt Blumen blühen, von Faltern rings umschwärmt. In anderen Breiten jetzt beginnen Eichen tausend Jahre alt  zu werden, in ihren Wipfeln wieder junge Brut nach Futter schreit, Hirsch und Ur friedlich neben der Tränke weiden, viele an der Zahl. Und Sturm fegt übers neue Meer, peitscht die neuen Wogen. Delphine machen lachend Männchen und Wale schleudern  Fontänen in die Luft. Alle, die einst auszogen, beginnen sich zu mehren und bevölkern eine neue Welt. Der Anfang birgt das Ende, sie aber brachten aus dem Ende einen neuen Anfang!


Prenzlau 1976
(Rostock, 15. April 2011)



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