kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

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kaputte Gedichte

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Strandgut

1

Vom Meer herüber weht ein leiser Wind, hat’s schwer mit leichten Wellen. Wie der Himmel ringsum, so blau ist das Meer und strahlend wärmt die Sonne. Den Strand entlang im weißen Sand schlendert barfuß ein kleiner Junge. Zwischen Seetang,  grün und braun, liegen Muscheln weit verstreut, weiß und schwarz mit gezacktem Rand, die sammelt er mit lachendem Gesicht. In Trauer geschieden und weit von ihrem zweiten Ich, erzählen sie von glücklichen Zeiten und fernen Orten, von schönen Tagen und bewegten Nächten, von all den toten Schiffen. Sie ans Ohr gehalten hört er leise des Meeres Rauschen und der Fische Singen. Mit kühnem Sprung nimmt er die Planke, gebleichter Rest eines längst vergessenen Schiffes, auf der jetzt  die Möwen sitzen, stelzen und stolzieren mit erhobenem Kopf. Sanfte Wellen, kristallene Locken des Meeres, liebkosen das weiche Ufer und wiegen Möwen in den Schlaf, trugen in funkelnder Nacht eine Flasche auf den nassen Sand. Ein Korken hält  sie fest verschlossen. Kleingetier, das seitwärts schreitet, hat nun einen Spiegel, ist ganz verzückt vom grünen Widerschein. Mit ihr haben Algen das Meer befahren, kleine weiße Krater zur Gesellschaft. An blanken Stellen schlagen Kiesel auf  das Glas und lassen, wie Glocken, Töne hell erklingen. Kinderaugen blitzen auf und hochbeglückt hebt eine kleine Hand ein Schicksal aus dem Wasser. Schnell vergessen sind die vielen Muscheln, zurückgefallen in den Sand, jetzt ohne Sinn. Von fernen Inseln voller Abenteuer träumend, läuft der Junge jetzt vom Strand, die Flasche fest umklammert. Zurück bleiben Wind und Wellen, sich kreuzende Spuren im Sand und eine sterbende Qualle an Land.

2

Hinter den Dünen die Bäume zerbrochen, trocken das Gras und trübe der Himmel, so trübe, wie das Klare seiner Augen. Der Wind macht Knoten in sein graues Haar. Der greise Alte stolpert über den Strand, sein Haupt tief gesenkt, ein Jahrhundert drückt ihn nieder. Lange schon sah man hier in dieser fremden Welt keinen Menschen mehr. Mühsam muß er die Füße heben, um hinweg zu steigen über Berge von Müll. Da sind Holzstiegen, wohl von Äpfeln und Tomaten, zerschunden vom  weiten Weg übers Meer. Wo einst Möwen auf Wellen ritten, dreht braune Jauche sich im Kreis, schwimmen tote Vögel, frisch geteert. An des Alten Schuhe klebt Seetang, schwarz von Öl. Schwärme von Fliegen beleben den toten Fisch, geben ihm Beine und Flügel. Das weiße Band, das vor langer Zeit das Meer umspannte, liegt heut tief begraben. Scherben, als falscher Bernstein, liegen überall im Sand, nach die kein Wanderer sich bückt. Hier treibt der Wind ein Foto vor sich her, vergilbt und eingerissen, mit einem Gruß vom Palmenstrand, dort einen aufgeweichten Brief, in dem vielleicht geschrieben stand: Schön war die Zeit… Das waren feste Stämme, die eingerammt in Reih und Glied, in tosenden Nächten Brechern trotzten und nun als schwarze Stümpfe faulend da im Wasser stehen, mit Krähenkot glasiert. In ihrer Nachbarschaft abgefahrene Reifen sich behaupten, von des Menschen liebstem Kind. Halb mit Sand gefüllt liegen sie fest an ihrem Platz und sehen aus wie Augen. Behältnisse aus metallenem Gitterwerk, aufzunehmen alte Sachen, sind zerbeult und umgestoßen, drinnen Ratten Nester bauen, fruchtbar, glücklich und zufrieden in ihrem Paradies. Die Wellen lecken Konserven aus und Dosen von Nivea, das macht sie glatt und geschmeidig. Noch immer quält der Alte sich durch den Müll, dem heiligen Zeichen einer zivilisierten Zeit. Der Wind fegt Zigarettenschachteln in seinen Weg und Papier von Würfelzucker. Nebenan vom Kinderwagen ein Speichenrad in die Luft sich reckt. Hier hat ein Sperling sich erhängt. Statt der stolzen Möwen jetzt laute Krähen den Strand bevölkern, ihr Reich ist überall. Des Alten lahmer Fuß stößt eine Puppe fort, ohne Kopf und Beine. Darunter eine Muschel lag, weiß mit gezacktem Rand. Von den Wellen nun auf einen Stein geworfen Colaflaschen hell zerspringen. Zitternd hält der Alte die Muschel in seiner Hand, da erinnert er sich wieder!


Rostock, Nov. 1976
(Rostock, 15.April 2011)




03 - 05

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