kaputte Gedichte
Die erste Schneeflocke
Schrecklich alt geworden ist das Jahr, altweiß sein langes Haar. Reife Zeit von Uhren tropft, keine Biene mehr an bunte Blumen klopft. Traurig sehen die Bäume aus, ganz blattlos. Warm schlafen Igel stillvergnügt in ihrem Schoß. In Fensterscheiben spiegelt sich der graue Tag, lachend einst darin die Sonne lag. Starker Wind bewegt die Luft, beraubt des süßen Nektars Duft. Schlanke Bäume tanzen wilden Reigen, Schmerz bricht an ihren Zweigen. Erster Frost den Boden festhält, morscher Zaun im Wind zerfällt, später Blumen in Kälte vergehen. Flüchtige Fahnen überm Schornstein wehen, haben den warmen Ofen längst verraten, in dessen Röhre duftig Apfel braten. Unterm Dach sitzen Spatzen dichtgedrängt, Auf drei Schwalbennester eng beschränkt, von Katzenaugen arg belauert, was sicher den ganzen Tag andauert. Die Nacht wiegt schwer jetzt auf der Waage, sie aufzuwiegen braucht es viele Tage. Am grünen Himmel Wolken ziehen, nachtdunkel vor dem Sturme fliehen. Wind wird Sturm und Hell zu Dunkel, schwer zu suchen der Sterne fern Gefunkel. Loses Laub die Luft erfüllt, gekröntes Meer in den Himmel brüllt, raues Eis schonungslos das Ufer schlägt. Gütiger Sturm Hüte in den Himmel trägt, verwegenen Männern den Atem nimmt und an Überlandleitungen sein Lied anstimmt. Langes Gras widerstrebend hin und her sich biegt, schließlich bezwungen doch am Boden liegt. Dies alles lachend mit anzusehen, Kinder hinter großen Fenstern stehen, kleine Nasen Scheiben drücken. Sehen staunend mit Entzücken, wie ein winziger Stern aus Eis vor ihren Augen tanzt im Kreis. Aus lichtem Eis der erste Stern: Rotznasen haben ihn immer gern. Setzt sich müde an der Scheibe nieder, kaum geboren, erlischt er wieder. Heimlich trittst du vor die Tür. Eissterne tanzen schwungvoll ihre Kür, tanzen auf und nieder im Verband, fallen als erste Schneeflocke in deine Hand.
Rostock, Nov. 1976
(Rostock, 15. April 2011)