kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

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Die Einsamkeit der Nacht


Hastig ist der Tag dahingegangen, mit Riesenschritten vorbei an Haltestellen, ohne Halt zu machen, ohne zu verweilen auf stillen Bänken in weiten Parks, an flüsternden Bächen oder lockenden Blüten. Er ist dahingegangen, macht Platz für  eine lange Nacht. Je schneller er geht, je eher verlangt sie nach Raum. Sie legt sich auf das Haus, fällt herunter auf den Weg im Garten, springt über Hecken und Zäune und kriecht durch Türen und Fenster bis hinein in dein Zimmer. Sie bringt  dir die Einsamkeit vergangener Nächte zurück, um ein Vielfaches vermehrt. Sie schlüpft in deinen Körper, bemächtigt sich deiner und lastet schwer auf deiner Seele. Du bist nicht mehr du, du bist jetzt nur noch Nacht, bist ganz Einsamkeit  und verlassen. Sich des eigenen Körpers erwehren, der nicht mehr dein ist, verliert jeglichen Sinn. Voller Sehnsucht willst du lieben, du willst küssen und umarmen, willst dich ganz dem Körper hingeben, den du begehrst, doch du gehörst allein  der Nacht, nur sie sieht dich nackt und mit Tränen in den Augen. Allein die Nacht liebkost dich mit kühlem Atem, wovon dein Herz nicht schneller schlägt. Wenn sie dich umfäßt, dein Körper spürt keine Wärme, keinen Puls voller Leben.  Sie wiegt dich in süße Träume und läßt deine Hände spielen, einsam ohne Erwiderung. Wenn Liebe deinen Körper verläßt, dann wird sie von niemandem empfangen, ebenso wenig wie du Liebe von einer Nacht empfangen kannst. Die Traurigkeit  der Nacht liegt in ihrer Einsamkeit, mit Händeringen und Schenkelpressen. Nacht, gib Ruh, Einsamkeit, schlaf ein mit mir! Niemand hat die Träne getrocknet, wenn du aus den Träumen erwachst. Dann endlich kommt der Tag über den Berg gelaufen  und um die nächste Ecke, läßt den Wecker klingeln, verjagt die Nacht mit Pauken und Trompeten. Hastig ist der Tag dahingegangen…

Rostock, Nov. 1976
(19. April 2011)



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