kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

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kaputte Gedichte

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Taubstumm


Lautlos die Wellen das Ufer erklimmen, ihre weißen Kronen im Lichte schwimmen, kein Knirschen auf kiesbestreuten Wegen, kein Bretterknarren auf leichten Stegen, des Kuckucks Ruf bleibt ihm verborgen und auch der Hahnenschrei am frühen Morgen. Im  abenddämmerigen Hain keine Sänger sein Gemüt erfreun. In hohen Wipfeln nirgends ein Blätterrauschen, Menschen lautlos Worte tauschen, keine Geige lieblich seine Ruhe stört, auch des Pianisten Tastenschlag bleibt ungehört. Seine Ohren  kennen kein lustiges Lachen, aber auch keine Schluchzer, die Tränen machen.
Kein·Strom von Worten fließt über·seine Lippen, kein donnernder Ruf schlägt an harte Klippen. Sein Mund spricht dir nicht von tausend Schätzen, ist kein Quell von wohlgeformten Sätzen, erzählt nicht von Trauer und Leid, von Frühlingserwachen  oder Sommerszeit. Hoffnungslos verkrampftes Lippenrot schweigt des Dichters schönste Verse tot, verschwommen quält sich mal ein Wort hervor, kein zärtliches Geflüster umschmeichelt dann dein Ohr. Ungesprochen seine Worte im Hirn verhallen  und ungesungen seine schönsten Lieder verschallen, Die Kehle nicht geschaffen zum feinen Singen, nicht hell und klar ihre Saiten schwingen.
Dafür strahlen seine Augen umso heller und sein warmes Herz schlägt zehnmal schneller, wenn du·ihm deine Liebe schenkst und mit zärtlichen Blicken an seinen Lippen hängst, wenn heißer Atem überm Nacken streicht und wenn ihr euch beide  Hände reicht. Empfängt ihn dann dein süßer Schoß, ist euer Glück wahrhaft grenzenlos. Erst Liebe macht das Leben reich und Wärme harte Herzen weich. Was macht es, wenn der Rose Stiel ein wenig krumm, wenn ihr Mund zu sprechen ewig  stumm und ihre Ohren zu hören ewig taub sind, so lieben sie doch Sonne, Regen und Wind.

Rostock, Juli 1977
(04. Mai 2011)



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