Tagebuch einer Schlange / 45. Eintrag
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Dienstag, d. 22.01.85
Letzten Freitag bin ich schon kurz vor elf Uhr von der Arbeit abgehauen. Und auf direktem Wege in die Südstadt zum Blutspenden gefahren. Bei 13 Uhr war ich dann zu Hause. Habe die Waschmaschine gefüllt. Jonas hatte mir auch einige Hemden und Pullover dagelassen: das wäre ein Abwaschen. Damit fertig, war ich dann doch, ehrlich gesagt, ein wenig k.o. Hatte wohl doch was ausgemacht, dass sie mir statt 400 ml, wie sonst üblich, diesmal 600 ml abzapften.
Den Sonnabend verbrachten wir dann mit Wäschetrocknen und Bügeln. Nebenbei warteten wir auf Dieter, der einen Film zum Entwickeln bringen wollte. Der kam aber nicht. Unzuverlässige Bagage, alle zusammen. Um wegzugehen, fehlte uns beiden der Antrieb.
Am Abend, es war genau 22.15 Uhr, kam dann Kay angewackelt. Wir lagen schon in den Betten. Das heißt, Jonas lag auf meiner Schlafliege und ich auf der Couch. Wahrscheinlich hatte er es vorher an Jonas‘ Tür versucht. Ich ließ ihn ein und legte mich wieder hin, denn zu mir wollte er bestimmt nicht. Kay blieb hinter meinem Kopf stehen und erzählte belangloses Zeug. Wem er es erzählte, weiß ich nicht, denn ich lag dummerweise mit dem Kopf zur Tür und konnte ihn deshalb nicht sehen. Nach einer Weile verrenkte ich mir den Hals und sagte zu ihm: „Du stehst da ja noch immer rum.“ „Ich überlege!“, war seine Antwort. Was mochte in seinem Kopf wohl vorgehen? Kay machte kehrt und ging. Ich nahm an, er würde sich seinen Mantel wieder anziehen und verschwinden. Er ging aber ins Bad und kam ausgezogen zurück, löschte überall das Licht und stieg ohne zu zögern zu Jonas ins Bett. Da es mir an Überblick fehlte, war ich auf mein Gehör angewiesen. Lange Zeit tat sich nichts. Als ich dann aber die ersten Bewegungen unter der Steppdecke hörte, überkam mich ein gewaltiger Schüttelfrost, der sich nicht nur mit bloßem Willen allein beherrschen ließ. Ich musste die Zähne fest aufeinanderbeißen, denn ich wollte nicht, dass deren Geklapper die beiden ängstigt. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als an den Kühlschrank im Korridor zu gehen und mir drei Fingerbreit aus einer großen Flasche Rum reinzuschütten. Danach ging es mir dann langsam besser. Dem Rum muss ich es auch zuschreiben, dass ich es zuließ, dass beide zu mir auf die Couch kamen. Fünfzehn Minuten nach Mitternacht ist Kay gegangen.
Ich bin mir sicher, der vermehrte Blutverlust am Freitag und der Schüttelfrost am Sonnabendabend haben das Herannahen meines Endes um vieles beschleunigt. Am Sonntag war ich aber noch in der Lage, mit Jonas nach dem Mittagessen zu einem Winterspaziergang aufzubrechen. Wir stapften durch den hohen Schnee quer über die Felder bis zum Ostseestrand. Es war einfach herrlich. Wir haben das letzte Mal Spaß gehabt.
Nun ist es aber höchste Zeit, mich zu verabschieden. Es hat begonnen! Meine Haut reißt auf. Ich weiß nicht, als wer oder was ich zum Vorschein kommen werde. Diesen Bodo wird es jedenfalls nicht mehr geben. Und ich hatte mir noch so viel vorge