kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

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kaputte Gedichte

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Septembernebel


Mit nackten Füßen und einem Mantel aus Rosenduft steigt die Göttin, milchig weiß, vom Himmel. Der milde Wind spielt im seidigen Haar. Die niedergetretenen Gräser im Tal schmeicheln ihren Füßen mit zarten Küssen. Die weite Flur flicht zur Krönung ihr ein Blütendiadem. Mit Elfenhand nimmt die Himmelstochter das schützende Tuch von ihrer goldenen Schale und neigt ganz sacht den weichen Rand der Erde zu. Ein grauer Schleier ergießt sich leise zu Boden und schwimmt in  alle Richtungen davon. Er umspült die Gräser und die letzten wilden Blumen, die Sträucher und dichten Hecken, leckt den rauhen Stamm der alten Bäume hinauf und stolpert in jede Senke. Wie ein Tropfen süßer Milch im kristallklaren Wasser  vermischt er Himmel und Erde. Winzige Perlen, vom Grunde der goldenen Schale, reiht die Göttin in endloser Zahl auf unsichtbare Fäden. Damit schmückt sie die fröstelnden Zweige und Halme zu festlicher Pracht. Sie bestreut mit Myriaden mikroskopischer,  gläserner Murmeln die grünen und gelben Blätter der Hecken, die scharfen Gräser und das Schilf am Teich. Sie schenkt mit vollen Händen. Wie mit durchsichtigem Samt bezogen liegen Feld und Flur im erwachenden Morgen. Wieder zugedeckt ist  die kunstvolle Schale; mit ihr entschwindet die holde Schöne in luftiger Höhe: zurück bleibt das wolkige Tal. Die Mutter des Lichtes steigt aus nächtlicher Verbannung empor zu ihrem Thron. Begrüßend steckt die Erde ihr den göttlichen  Schleier aufs feurige Haupt. Funkelnd brechen sich ihre Strahlen als Dank in den himmlischen Gaben und verzaubern das Tal in leuchtende Smaragde und Rubine. Das Land singt ihr die erste große Hymne.


Rostock, Sep. 1978
(06. Mai 2011)



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