kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

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Begegnungen


Einfach ist es, die Jahre zu zählen, vielleicht auch noch die Tage und Stunden, die du hier auf Erden lebst. Doch nicht so sehr die Zeit ist es, die dich altern läßt, es sind die täglichen Begegnungen, die vielen, woran wir deine Reife messen,  Begegnungen mit der Wirklichkeit der dich umgebenden Welt, mit deinen Träumen, Begegnungen mit den Menschen: die während des Tages an dir vorübergehen, deinen Weg kreuzen, wenn du durch die·belebte City bummelst. Wer sind all die Namenlosen,  die du kaum wahrgenommenen? Du weißt es nicht. Unbekannt bleibt dir auch die plötzliche Begegnung, die vielleicht irgendwo in einem Park dir überraschend vor die Füße stolpert: Hoppla, hier bin ich! Und dann ebenso schnell wieder: Goodbye.  Dann gibt es die traurigen, leidvollen und verwundenden, die ewig schmerzenden, weinenden. Von all denen sprichst du nicht. Sie aber verschanzen sich in einer Ecke deines Herzens, beißen sich fest in deiner Seele, stechen solange mit spitzen Dornen  zu, bis der Teppich rot von Trauer ist. Aber es gibt auch freudige Begegnungen, zum Glück, die dir die Schmerzen vergessen lassen und die Sonne etwas näher bringen. Lächelnd, mit blauen Feenaugen und wallenden Locken, treten sie dir entgegen,  mit offenen Armen, ebenso bereit für glückliche Augenblicke wie für berauschende Stunden. Der Zufall spielt sie dir in die Hände. Aber die, nach denen du dich sehnst, vor Verlangen dich in einsamen Nächten verzehrst, führt dir kein Gott,  kein geflügelter Knabe zu. Zu den Begegnungen, die du suchst, die zu finden du schon lange hofftest, mußt du selber den Weg bestimmen, mußt die vielen Umstände fügen, wie die tausend bunten Steine zu einem Mosaik, nichts für einen Willen, der dahinwelkt schon nach Tagen. Aber schwieriger noch sind solche zu umgehen, die du lieber vermieden hättest. Sie drängen sich auf an jeder Ecke, lauern hinter biederen Gesichtern, fahren im selben Zug hinaus an die See. Lästig kleben sie an deinem Schatten, wie der ekelhafte Hauch, der am Aase hängt. Nur dein Tod macht euch versöhnlich. Und nicht der Schönheit Reiz eines Augenblicks macht dich glücklich, nicht die Flüchtigkeit abenteuerlicher Minuten. Die gewachsene Zeit, gemeinsam gelebt, allein macht Freude, Glück und Liebe. Nicht die kalte Augenblicksbegegnung vermag dein Herz zu wärmen, wie nicht der flüchtige Sonnenstrahl schmilzt das dicke Eis, das der Liebe tiefen Schlaf bewacht. Wenn der laue Frühlingswind sanft die Erde streichelt, bricht es auf bei blauem Himmel, nur von seiner Zärtlichkeit, die kein Ende kennt.

Rostock, Juli 1980
(04. Juli 2011)



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