kaputte Gedichte
Letzter Tag im Oktober
Das braune Laub, mit flüchtiger Hand hierher gesät, durch des Gärtners Rechen noch unberührt, drückt naß und schwer den struppigen Rasen nieder, aus dem heraus der Buchen und der Linden regenfeuchte alte Stämme wachsen. Nackt und kalt heben sie die krummen Arme und ihre Hände greifen leer ins trübe Weite. Der erste Sturm in diesem Oktoberherbst hatte vollends sie entkleidet. Nur hier und da in luftiger Höh hält manches kühne Blatt sich noch. Ein frischer Wind, vom Wasser her, zerrt vergeblich jetzt an ihnen. Drunter steht, im letzten Jahr entkront, der dünne Stumpf einer totgeglaubten Birke. Kreisrund durchbrach im oberen Drittel ihr der bunte Zimmerer die weiße Haut. Schreiend sich ins graue Wasser stürzend, jagen silberweiße Möwen kleinen Fischen nach. Ihre Spießgesellen oben hängen ohne Flügelschlag am aufgewühlten nahen Himmel. Durch die kurzen Wellen kämpfen sich schnelle Boote aus blauem Plast. Die Pudelmütze tief in die verschwitzte Stirn gezogen, zeigt der Kanuten junges Gesicht gerade in den Wind. Tränenspuren erahn ich auf glühenden Wangen. Lautlos sticht ein jeder das helle Blatt, dem breiten Strom furchtlos in den dunklen Leib. Allein steh ich dicht beim Ufer hier und schau ihnen frierend nach; ich hätte Grüße winken können. Heute Abend erst, so denk ich jetzt, kann ich wieder bei dir sein, um dich zärtlich zu entblättern. Nackt und ohne Hüllen, wie diese Bäume hier, stehen wir dann eng umschlungen. Unsere Hände greifen nicht ins Leere dann. Wärmen wird dich liebevoll mein heißer Körper.
Rostock, Nov. 1986
(05. Juli 2011)