Tagebuch einer Schlange / 3. Eintrag - Abstrakte Irrwege

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Tagebuch einer Schlange / 3. Eintrag

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Montag, d. 23. März 1981

Der Frühlingsanfang hat sich wirklich von seiner besten Seite gezeigt.
Frühlingsanfang war Freitag achtzehn Uhr und noch was. Wie das Wetter zu dem Zeitpunkt war, weiß ich nicht mehr so genau. Ich glaube, es regnete. Wenn ich aber gerade noch den Frühlingsanfang lobte, so bezog ich dies hauptsächlich auf den gestrigen Sonntag. Wir hatten den ganzen Tag Sonnenschein. Es glaubte wohl niemand mehr daran, dass es so etwas geben kann.
Das wir ausgerechnet diesen Tag für unsere Wanderung geplant hatten, war reine Glückssache. Es hätte auch anders kommen können. Wir waren 16 Sportfreunde. Die Strecke war gut: Bad Sülze – Kavelsdorf – Tribsees. Nachdem einige von uns am Vorabend den Film „Die Frösche“ gesehen hatten, fielen die toten Frösche, die auf den Wegen lagen, besonders auf. Es waren allerdings nicht mehr so viele wie am Sonntag vor einer Woche, als ich zusammen mit Birger die Strecke schon mal probehalber abgegangen war. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie dermaßen viele krepierte Frösche gesehen. Sehr eigenartig. Woran mögen sie kaputtgegangen sein?
Freitagabend war ich entgegen der Gewohnheit allein. Jonas hatte den Tag vorgearbeitet und war mit seiner Mutter nach Berlin, Einkäufe tätigen.
Ich hatte uns für den Abend zwei Theaterkarten besorgt. Das hatte er vergessen. Allein mochte ich nicht gehen. Keine Lust. War darum ganz froh, die Karten an Brigitte weitergeben zu können.
Habe anfangs ferngesehen. Langweilig. Spielte mit dem Gedanken, nach Warnemünde zu fahren. Rasiert war ich schon. Gegen neun hab ich mich dann endlich aufgemacht nach Warnemünde. In der Hallenbar des Neptunhotels zwei Martini getrunken. War nicht besonders interessant. Bin gegen elf, glaube ich, wieder verschwunden.
Den Sonnabend hatte ich auch für mich allein. Wollte eigentlich vormittags zur Kongresshalle. Wegen der Ausstellung. Konnte aber nicht aus dem Bett finden. Musste dann das Vorhaben aus Zeitmangel aufgeben. Werden eben morgen ein wenig früher hinfahren. Wir haben Karten für den japanischen Kinderchor bekommen, der dort morgen auftreten wird.
Jonas kam heute gegen halb fünf. Als erstes erzählte er, was er alles in Berlin gekauft hat. Musste wohl ganz schön Geld ausgegeben haben. Der Radiorekorder, die Kopfhörer und die Lederjacke waren bestimmt nicht billig. Na meinetwegen, ich gönn es ihm. (Es ist jetzt 21.45 Uhr. Beginnt gerade zu regnen.) Ich werde mich hüten, nach den Preisen zu fragen. Ich glaube, ich leide sehr darunter, mir nicht auch das kaufen zu können, was ich gern haben würde. Meine Mittel reichen einfach nicht aus, das Leben zu führen, wie ich es mir vorstelle. Aber wer kann das überhaupt? Und es wäre vermessen von mir, wollte ich behaupten, mir ginge es schlecht. So ist es nicht. Eigentlich habe ich alles, was ich brauche. Nur, dass der Mensch nicht damit zufrieden ist. Ach, was für einen Scheiß schreibe ich da zusammen? Habe ich mir etwa nicht vorige Woche auch eine Lederjacke gekauft? Noch bevor er seine hatte. Hoffentlich entdeckt er sie nicht so bald. Wenn ich nur nicht so geizig wäre! Ich glaube, ich leide doch nicht.
Kurz vor dem Abendbrot bekamen wir noch Besuch. Ich kann mir einfach keine Namen merken. Ich glaube aber, er heißt Henry. Er wohnt jetzt in der Nähe und hatte Langeweile. Ist ein sehr netter Kerl, sieht gut aus, hat vor allem eine tolle Figur, und ist noch ziemlich jung. Ich hoffe, er kommt mal vorbei, wenn ich alleine bin. Jonas scheint auch von ihm mehr begeistert zu sein, als er zugeben will. Er würde ja zu gern mal wieder ausbrechen! Soll er doch. Ich dürfte es dann auch!! Im nächsten Monat sind wir ein Jahr zusammen. Wie schnell die Zeit vergangen ist. Hatte mir immer eine feste Freundschaft gewünscht. Bin mir aber nicht sicher, ob er der Richtige ist. Wir sind beide gleich viel eifersüchtig. Wir haben beide einen körperlichen Mangel. Seinen mag ich ihm deswegen nicht vorwerfen. Vielleicht ist es aber das, was mich mit einen unruhigen Sehnsucht erfüllt? Eine Sehnsucht, die vielleicht nie mehr Erfüllung finden wird.

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