Tagebuch einer Schlange / 4. Eintrag
Texte > Tagebuch Schlange
Sonnabend, d. 17. Okt. 1981, 23.00 Uhr
Der Rest Rum aus der schäbigen Flasche hilft mir jetzt, meine Armbanduhr ganz leicht doppelt zu sehen, wenn ich will. Ich weiß nicht, vielleicht ist es eine halbe Stunde her, dass Jonas gegangen ist. Der Abend war kalt. Etwas von Frost hat sich auf uns niedergesenkt.
Er hätte es mir nicht sagen sollen! Gestern tat er es. Jonas hat mir sein Erlebnis erzählt. Ich habe ihn gewarnt, dass mitunter ein offenes Wort Türen verschließen kann. Und nun fürchte ich, dass die Tür bereits ins Schloss gefallen ist. Warum hat er es mir gesagt? Er musste doch wissen, dass jedes einzelne Wort, das er dazu gebrauchte, mir ein Messer im Herzen ist.
Warum?
Habe ich ihn je auf diese Weise verletzt?
Weil ich mich selbst kenne, verstehe ich ihn, seine Gefühle und heimlichen Wünsche. Aber, er muss es mir nicht sagen! Nein, nicht sagen!!
Sollte ihm daraus eine Liebe, eine neue Liebe, erwachsen auf dem weiten Feld, das wir alle gleichermaßen bestellen und abernten, möchte ich der Letzte sein, der ihm dabei im Weg steht. Lachen möchte ich, wenn ich könnte, über ihn. Habe ich nicht oft gesagt, wenn es das Schicksal so will, dann trifft es dich auch dann, wenn du hinter einem Schild in Deckung gehst. Oft genug trifft es dich, wenn du am wenigsten darauf vorbereitet bist. Ich habe Recht behalten. In solchen Sachen habe ich schon zu oft Recht behalten. Du wolltest mir nicht glauben, hast das von dir gewiesen, als ob du dagegen immun wärst. Du bist es aber nicht. Keiner ist es.
Würdest du dich heimlich mit ihm treffen, wäre der Schmerz geringer gewesen. Selbst wenn ich es erfahren hätte. Warum musst du ausgerechnet mit ihm hierher kommen wollen? Ihn mir auch noch präsentieren? Sie ihn dir an, hier ist er, mein Neuer! Und ich soll dann aus meiner eigenen Wohnung solange verschwinden, in der ich dich so freudig aufgenommen habe? Du, der bisher so freien, ungehinderten Zugang hatte, wie kein anderer vor dir? Ich soll verschwinden, bis ihr beide miteinander fertig seid? Dass du es wagst, mir das anzubieten?
Und ich, was mache ich? Ich werde Montag auf euch warten. In der Hoffnung, dass ihr auch wirklich kommt. Denn kommt ihr nicht, wird mich meine innere Unruhe in Stücke reißen. Und wenn ihr beide wirklich wagt, hier aufzukreuzen, dann werde ich alle meine Freundlichkeiten zusammenkratzen, um euch eine angenehme Stunde zu wünschen. Dann werde ich gehen, ganz einfach gehen. Als hätte ich dringende Geschäfte in der Stadt. Aber ich werde draußen stehen und mein Fenster beobachten. Und mir das Schlimmste vorstellen. Wenn ihr dann nach dem Vollzug geht, werden wir uns begegnen. Ich werde euch einen angenehmen Heimweg wünschen. Und in Gedanken die Pest dazu!
Wie es dann weitergehen soll, wage ich noch nicht, mir vorzustellen.