kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

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Gezeiten des Lebens


Wie der Frühling mit sonnigem Licht am Kastanienbaum wunderschön braune Knospen aufbricht, sie sanft umschmeichelt mit dem Hauch eines warmen Windes, so wartet sehnsuchtsvoll die junge Frau auf die Geburt ihres ersten Kindes. Ein neuer Mensch erblickt  die Welt, rosig, nackt und bloß, einer schönen Knospe gleich, gewachsen im schützenden Schoß. Vor ihm liegt sein Weg ins Leben, steinig, weit und voller Mühsal, doch unaufhaltsam, wie der Lauf eines Baches vom Berg ins Tal. Zwischen Geburt  und Tod liegen die wechselvollen Jahreszeiten des Lebens, herzlose des Kommens und Gehens, glückliche des Nehmens und Gebens. Mit bunten Blüten und Bienensummen hat des Kindes Vorfrühling nun begonnen, sorgenfrei, von Schwingen des Glücks  getragen und beschienen von vielen Sonnen. Leicht weht der Frühlingswind durch seine Kindheit, mild und weich, streicht leise über seine Wangen, wie durch junges Schilf am Teich, stürmt rasch in seine Jugend über und noch ehe es sie richtig  ausgelebt, sieht er, wie der junge Mensch mit Macht dem Ernst des Lebens entgegen strebt. Noch viel zu jung, an Körper und Geist noch im Werden begriffen, begibt er sich auf die vom Sturme schwankenden, des Meeres zu vielen Schiffen. Mit stolzem Haupt bietet er verwegen dem Sturm trotzend die Stirn. Quälender Drang nach dem Neuen, dem Unbekannten, martert sein Hirn. Nie gekannte Gefühle stürmen auf ihn ein, Leidenschaft und zarte Liebe, wie von der Quelle Kraft frische Säfte steigen in  sommergrüne Triebe. Gesprengt sind lange schon der Puppe enge Fesseln, trocken des Falters Sonnensegel. Von ihrer Schönheit angelockt, zu tausend Blüten fliegen, ist jetzt die Regel. Kelche gefüllt mit süßem Nektar, danach nun der Sinn  ihm steht, bis eine Blüte ihn gefangen nimmt und ruhelose Hast zu Ende geht. In der Gemeinschaft liegt die Stärke, in der Familie wahres Glück. Der Sommer ist gefüllt bis zum Rand, läuft über Stück für Stück, tropft langsam  in den Herbst hinunter, schlägt leise helle Töne. Sich mutig erhebende Drachen und sonnengoldenes Laub, sie sind am Herbst das Schönste. Der Baum hat Blüten geblüht, Blätter gegrünt und Früchte getragen, hat sein Leben gelebt und  jungen Bäumen Leben geschenkt, die ihm einst im Alter umragen. Sinnend geht der Mensch vom Herbst in den Winter, doch heiter und glückbeladen, Kummer und Schmerz sind weit vergessen, hingen nur am seidenen Faden. Immer weißer wird das Haar, erster  Schnee ist gefallen, zu zählen sind die Tage, bis Spaten die gefrorene Erde aufgraben und übriglassen dann die Frage nach des Lebens schönsten Gezeiten und des Jahres bestem Tage.

Rostock, Dez. 1976
(19. April 2011)



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