kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

Direkt zum Seiteninhalt

kaputte Gedichte

Texte > kaputte Gedichte

Des Alten Testament

1

Also sprach zu dem Jüngling der greise Alte, als sein Rufen in den Bergen verhallte: Gekommen ist nun meine Zeit, Friede und Ewigkeit stehen für mich bereit. Tritt näher und schau mir tief ins Angesicht. Verfinstert hat sich mein Augenlicht,  kann das Schöne kaum noch sehen; und schwer wird mir der Fuß beim Gehen. An dir ist es, mein Werk jetzt fortzusetzen. Drum werfe fort deine alten Fetzen und hüll dich ein, in ein neues Gewand, das du nehmen sollst aus meiner Hand. Nimm meinen  Schild und auch mein Schwert, beide sind zusammen tausend starke Männer wert, und zieh hinaus in die weite Welt, unaufhaltsam unterm blauen Himmelszelt. Wo ich meines verlor, da suche du dein Glück und ehe es nicht gefunden, kehr nicht zurück.  Scheue nicht die steilen Wege, die vor dir liegen, mit Mut und Kraft wirst du sie besiegen. Das die Sonne mit ihrem Licht dir den Weg erhellt, räume fort das Dunkel, das ihr die Sicht verstellt. Gehe hinaus und meistere geschickt die Gegenwart, sei  voller Zuversicht und im Willen hart. Sei es auch so schwer, wie es mag, bring uns die Zukunft am jüngsten Tag.

2

Geh über tausend Stege, lauf auf·tausend Wegen, folge meinen Spuren dem Morgen entgegen. Meide nicht das Dunkel tiefer Wälder, aber betrete nicht bestellte Felder. Setze deinen Fuß in niemandes Land, und dein Auge schaue den Cañon, wo einer  sein goldenes Unglück fand. Bahne mit dem Schwert dir den Weg durch Unrecht und Dornen, die Liebe zur Gerechtigkeit möge dich spornen. Von den Meeren laß dich tragen in die Unendlichkeit, nichts sonst in der Welt hat ihre Beständigkeit. Die  vier Winde mögen dich treu begleiten und dein Schiff vorwärts treiben zu allen Zeiten. Kehrt zurück von namenlosen Küsten und nimm den Weg durch menschenleere weite Wüsten, wo das Wasser teurer wiegt als Edelstein und Gebeine bleichen im Sonnenschein. Betrete die Oase des Lebens mit ehrfurchtsvollen Blicken und laß dich vom grünen Schatten rasch erquicken. Möge ein kühler Brunnen dich laben, wenn die Sonne überreich mit ihren Gaben. Suche dein Glück in luftleeren Höhen,  die selbst der Adler noch nicht gesehen. Sei wie Ikarus im Fluge kühn, doch steh mit beiden Beinen fest in deinem Mühen. Nimm dir zum Freund des Jaguars Schnelligkeit und der Antilopen Geselligkeit.

3

Mahnend hob der Alte die zitternde Hand; der Jüngling glücklich hörend vor ihm stand: Brenne nur sauberes Feuer in deinem Herd, daß kein Rauch sich zu dir kehrt und langsam dir die Luft zum Atmen nimmt, auch fege seine Asche nicht in den Wind.  Nur Sonne soll den blauen Himmel färben, kein Mensch darf je die Luft verderben. Wolken sollen nur Licht und Schatten sein, bunte Farben gehören den Blüten allein. Vergrabe stets die Reste von deinem Mahl und erspare so der Erde die erstickende  Qual. Häufe nicht auf den Unrat zu Bergen, denn unter ihnen wird schreiend die Erde sterben. Mach den Boden fruchtbar und nicht krank, dafür sei dir sicher der gebührende Dank. Nutze gut die reichen Schätze der Erde Grund, doch reiß ihren Leib nicht für immer wund. Klar sollen vor dir die Seen liegen, an ihren Ufern lustig bunte Falter fliegen. Licht wird durchfluten klares Kristall, Wellen im Sonnenschein funkeln wie poliertes Metall. Schütze den Lauf der Flüsse und ihre Quellen,  kein Ö1 soll glätten des Meeres Wellen, kein toter Fisch das Ufer schände, nur Perlen zieren die weißen Strände. Aus Bächen und Flüssen sollst du trinken ohne Schaden, sorglos dich in blauen Meeren baden. Den schweren Stein hebe von des Schößlings Stirn und spanne auf deinen Schild zum Schirm, daß kein Hagel die junge Knospe trifft und kein Sturm zarte Blätter bricht. Behüte die Blüte und die selige Frucht, schwelge träumend in sonniger Sehnsucht und knie nieder  in deinen Träumen vor tausendjährigen Bäumen. Lösche aus das Feuer in den Wäldern, schicke Wasser in die Wüsten und mach sie zu blühenden Feldern. Mach die Savannen zu saftigen Wiesen und heue ihr Grün, an dornigen Wegen laß Blumen erblühen. Fege von Cheops Grab den uralten Staub und schmücke das Tal der Könige mit grünem Laub. Erhalte der Vögel liebliches Singen, daß noch lange ihre Lieder uns in den Ohren klingen. Hebe auf das im Sturm gefallene Nest und  stecke es wieder in seiner Gabel fest, dann werden sie zu deinem Schmucke dir schillernde Federn schenken. Du sollst aber auch an all die anderen Tiere denken und die bösen Geister in Schrecken versetzen, die deinen Freund, den Tiger, hetzen und in Fesseln legten den Elefant, schonungslos mit blutiger Hand. Auf seinem breiten Rücken wirst du reiten und der Tiger an eurer Seite schreiten, wirst zerschneiden der gespannten Netze Seile und stoppen mit deinem Schild den Flug sinnloser Pfeile. Halte  den Menschen dazu an, in eisigen Zonen den Bären und den Wal zu schonen. Erhalte der Erde die vielen Arten und zeige den Menschen des Paradieses Garten.

4

Höre, mein geliebter Sohn, besteigen sollst du den goldenen Thron, wenn du Frieden herrschen läßt, wo Kriege toben und wütet die Pest, wenn du bezwingst den Drachen mit eiserner Hand und befreist das geknechtete Land. Erhebe dein Schwert nicht  vor des Schwachen Bild, sondern halte über ihn schützend deinen wachen Schild. Zerbreche den Bogen, der Unrecht verschießt, spende Trost dem Kinde, das Tränen vergießt. Laß Brücken über tiefe Schluchten fassen und mach die zu Freunde,  die sich hassen. Verdränge einfühlsam ihren alten Schmerz und pflanze unseren Traum süß in jedes Herz. Zertrete nicht des Armen karges Feld, das er mit Entbehrung hat bestellt. Teile mit ihm dein frisches Brot und zeige ihm den Weg aus seiner  Not. Bestelle braches Land und fülle die Speicher, mach die Reichen ärmer und die Armen reicher. Pflanze Wein und fülle die Krüge, mach den Durst zur bösen Lüge. Gebe von Herzen deine Perlen in müde Hände, ziere damit die lehmigen  Wände. Dem Bedürftigen baue einen Herd und in dessen Feuer schmiede dein Schwert, zieh es mit deinen Fäusten flach und wölbe so daraus ein wehrhaftes Dach. Bei Kälte werden sie wohlige Wärme spüren, Regen bleibt draußen vor den  Türen. Aus gesundem Brunnen sollst du schöpfen klares Wasser mit irdenen Töpfen, sollst es an die Leidenden verteilen und die kranken Glieder wieder heilen. Glück sollen die Menschen in ihren Gesichtern tragen, die noch von Elend und Sorgen  zergraben. Mit deinem Schild wende ab bittere Not, schleudere es mit Wucht gegen den gierigen Tod. Mit der männlichen Kraft deiner Lenden sollst du Glück und neues Leben spenden. Nimm den Schleier dem Weibe vom Gesicht, daß sie frei ihre Worte  spricht, stell sie dem Manne zur Seite, daß sie mit ihm im Gleichklang schreite. Mach aus taubstummen Wesen frohe Kinder, die schreiben und lesen. Ach die Alten laß in deine Schule gehen, lehre den Menschen Hören und·Sehen. Zeige ihnen, wie  du gebacken dein täglich Brot. Hab bei all deinem Tun den Menschen in deinem Boot, rudere sie zu Wissen aus des Abgrundes Dunkel und zeige ihnen der Sonne helles Lichtgefunkel. Lehre sie das Leben zu meistern und sich für des schönsten Traumes  Zukunft zu begeistern. Gebe ihnen nicht nur einen Fisch zu essen, den werden sie zu schnell vergessen. Du mußt ihnen dazu das Angelzeug geben, das halten wird fürs ganze Leben.


5
Nun geh, mein Sohn!


Rostock, Jan. 1977
(20. April 2011)



11 - 13


Zurück zum Seiteninhalt