kaputte Gedichte
Der Müllberg
1
Von ihrem Thron aus bescheint die Sonne einen blauen Planet. Als Mutter gebar sie alles Leben. Nur ihr allein gehört die Macht, es zu begraben.
2
Sonnenschein durchflutet die trübe Luft, erfüllt mit Gekreisch und Flügelschlagen einer weißen Wolke. Angezogen vom süßen Faulgeruch schweben Schatten zur Erde nieder. Möwen werden begrüßt von schwarzen Krähen und klebrigen Ratten. Vom letzten Bade noch matter Glanz auf weißem Gefieder. Krähen stehen im Unrat halb versunken, die Hände in den Taschen, den Schnabel voller Knochen. Ratten pfeifen ihnen Hymnen, stolz und kotbeschmiert. Wind fegt Asche in die Luft und trägt die neuesten Zeitungen aus. Regen ist ein gerngesehener Gast, küßt den Schmutz und macht ihn schön geschmeidig. Hier werden Feste gefeiert jeden Tag, der Unrat geht nie aus. Willkommen ist hier jedes Vieh, jeder kann hier König sein, ob lebend oder tot. Ungeheuer bringen brüllend stündlich neue Nahrung. Ratten füllen Jauche ein und stoßen an mit Konserven. Heute wollen sie lustig sein und tanzen nackt auf Scherben. Die Möwen tanzen Ringelrein und die Krähen hüpfen auf einem Bein bis in die späte Nacht hinein. Vom Schloßteich sie jetzt die Frösche hören, Musik in ihren Ohren. Wo der Unrat brannte, jetzt saftig rot die Glut sticht in die Nacht. Böser Wind den Rauch verteilt, Weihrauch in ihren Nasen. Und wieder und wieder kommen Ungeheuer und leeren ihre vollen Bäuche. Stetig schwillt und wächst der schöne Berg heiter in den Himmel, begräbt die Straße, begräbt die Stadt, auf Gleisen tote Züge stecken. Weiter werden die Feste gefeiert, Krähen werden dick und fett. Ratten haben rote Mäntel an, Möwen tragen ihnen das Zepter. Hefe treibt den Tag voran, unaufhaltsam, Stück für Stück. Berge füllen die Meere. Schuldig werden die Unschuldigen begraben und unschuldig schauen die Schuldigen.
3
Die Sonne blickt auf die faulende Erde, einst so blau und schön. Voller Schrecken wendet sie ihren Thron. Man hat sie ihrer Macht bestohlen!
Rostock, Jan. 1977
(20. April 2011)