Tagebuch einer Schlange / 13. Eintrag - Abstrakte Irrwege

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Tagebuch einer Schlange / 13. Eintrag

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Dienstag, den 15.02.83, 21.50 Uhr

Morgen hat Jonas Geburtstag. Habe Angst ihn anzurufen, um zu gratulieren. Ich werde es aber müssen.
Gestern Abend sind wir wieder einmal im Streit auseinandergegangen. Sicher, ich war wohl nicht ganz schuldlos daran. Bin von Natur aus nicht besonders gesprächig. Mag wohl daran liegen, dass ich schon zu lange allein gelebt habe, bevor ich ihn kennenlernte. Gestern war ich besonders zurückhaltend im Gespräch. Wie immer, wenn ich mich über ihn geärgert habe.
Übers Wochenende war ich mit Sportfreunden meiner Sektion zur Ernst-Thälmann-Gedenkwanderung in Wildau. Dazu fuhren wir am Freitag um 15.24 Uhr vom Bahnhof ab. Es waren zwei sehr schöne Wanderungen. Wenn auch anstrengend. Mit Mathias hatte ich Stress. Er ist nicht mit uns zusammen angereist. Irgendein Grund musste ihn an der Teilnahme gehindert haben, dachten wir. Er kam dann doch am späten Freitagabend dort an. Aus Dresden. War auf einer Klassenfahrt. Weil wir ihn verhindert glaubten, hatte ich keine Platzkarte für seine Rückfahrt gekauft. Darüber war er sehr vergnatzt, wurde unsachlich. Dies nahm er dann zum Anlass, am Sonntagvormittag allein nach Rostock zurückzufahren. Jetzt, im Nachhinein kann ich mich daran erinnern, dass Mathias irgendwann vorher angedeutet hatte, dass er von Dresden aus zu uns stoßen wolle. Scheiße aber auch! Am Wochenende davor hatte Mathias bei mir geklingelt. Wollte mit mir die Einzelheiten seiner Teilnahme besprechen. Ich hatte aber nicht aufgemacht, weil Jonas hier war. Und wir beide nichts anhatten. Hätte ich geöffnet, wäre ich in der Sektion unten durch gewesen. Scheiße eben.
Mit diesem Ärger im Gepäck kam ich Sonntagabend nach Hause. Und musste feststellen, dass Jonas während meiner Abwesenheit in der Wohnung war. Obwohl ich ihn gebeten hatte, es zu unterlassen. Als ich dann auch noch sah, dass auch Kay hier gewesen sein musste, war ich vollends sauer.
Ich hatte Jonas schon mehrmals eindringlich gebeten, nicht während meiner Abwesenheit die Wohnung zu betreten. Wenn es schon sein musste, dann niemanden mitzubringen. Und nicht irgendwelche Leute hier reinzulassen. Wenn Jonas das Wochenende hier allein verbracht hätte, wäre meine Wut wohl schnell verraucht. Es ist doch nur wegen meiner neugierigen Nachbarin. Und außerdem gibt es im Haus einen Mann mit Telefon. Und ich weiß nicht, auf was der alles achten muss. Als Jonas mir dann auch noch mit Siegermine auftischte, dass Freitag um 22.45 Uhr Kay geklingelt hatte und am Sonntag Thomas mit Ulf hier waren, bin ich übergekocht.
Innerlich. Nur innerlich. Ich habe mir nichts anmerken lassen. Bin trotzdem mit ihm ins Bett gegangen. Bin vorher ins Bad, mich waschen. Bei der Gelegenheit meinen Wohnungsschlüssel von seinem Schlüsselbund abgemacht. Hat er es klappen gehört?
Es ist klar, dass ich unter diesen Umständen kein guter Partner im Bett war. Hinzu kam noch, dass ich hundemüde war. Jonas verging auch der Spaß an der Freude. Er zog sich an, um nach Hause zu fahren. Er deutete mein Verhalten dahingehend, dass ich ihn nicht mehr mag. Dass ich mit allen Mitteln versuche, ihn loszuwerden. Das stimmt natürlich nicht. Denn ich brauche ihn. Ich brauche ihn, obwohl ich ihn manchmal hasse. Ich hasse ihn manchmal, doch ich liebe ihn immer. Als er sich angezogen hatte, nahm er sein Schlüsselbund von der Flurgarderobe. Er sah zwar drauf, sagte aber nichts. Außer, dass er ein Narr sei. Spätestens zu Hause wird er gemerkt haben, dass ein Schlüssel fehlt.

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