Tagebuch einer Schlange / 20. Eintrag - Abstrakte Irrwege

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Tagebuch einer Schlange / 20. Eintrag

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Dienstag, d. 13.12.83, 22.40 Uhr

Schon immer habe ich die Meinung vertreten, dass man zu warten verstehen muss. Warten auf den Erfolg. In nichts konnte ich bisher solch eine Ausdauer entwickeln, als im Warten. Habe heute hierin wieder einmal eine Bestätigung erfahren.
Zweimal hatte ich in den letzten Wochen in der Stadt Andreas getroffen. Das letzte Mal vor genau sieben Tagen. Kam gerade vom Blutspenden aus der Südstadt. Ich stieß auf ihn, als ich die S-Bahn bestieg. War mir vorher gar nicht aufgefallen. Wir setzten uns unten rein und sprachen miteinander. Bis er in Marienehe ausstieg. Schade, dachte ich. Wie gern hätte ich ihn zu mir nach Hause eingeladen. Wenigstens halbwegs hätte ich andeuten sollen, dass er, wenn er Lust und Langeweile habe, doch mal auf ein Schwätzchen vorbeikommen könne. Habe es aber aus wenigstens zwei Gründen nicht getan. Erstens wollte ich mich nicht aufdrängen. Und zweitens wäre ich ja doch nicht allein, wenn er denn tatsächlich mal gekommen wäre.
Es wird so gegen 19.45 Uhr gewesen sein, als es klingelte. Weil Jonas einen Schlüssel hat, wunderte ich mich darüber, dass er klingelt und nicht einfach reinkommt. Ich war beim Abwaschen. Im Fernseher lief die Aktuelle Kamera. Mir kam gar nicht in den Sinn, dass es auch jemand anderes sein könne. Da sich nichts rührte, ging ich in den Korridor und öffnete die Wohnungstür. War einigermaßen verdattert, Andreas draußen stehen zu sehen. Fragte ihn blöderweise, was er denn hier mache? Im Eilzugtempo mischten sich auf meinem Gesicht Freude, Hoffnung und Enttäuschung. Unschlüssig geworden fragte Andreas, ob er reinkommen könne? Ich öffnete die Tür soweit es ging und trat einen Schritt beiseite. Obwohl sie mir sofort durch den Kopf schoss, habe ich mir die Frage verkniffen, ob er zu mir wolle oder eine Verabredung mit Jonas habe? Bugsierte ihn in die Stube, legte eine Platte auf und bot ihm was zu trinken an. Dann trocknete ich rasch das wenige Geschirr ab. Denn Ordnung ist das halbe Leben. Setzte mich Andreas gegenüber in den Sessel. Er hatte die Couch gewählt. Bis kurz vor 21 Uhr unterhielten wir uns über alles Mögliche. Unter anderem bat ich ihn, für Jonas in Berlin eine Adresse zu überprüfen. Wusste, dass er im Januar dorthin fahren müsse. Das könne er bereits diesen Freitag tun, meinte er. Er wolle zum Einkaufen hin. Natürlich versuchte ich, hinter die Beweggründe seines Besuches zu kommen. Deshalb erwähnte ich Jonas mehrmals. Aber Andreas hat nicht einmal nach ihm gefragt. Dann konnte ich wohl davon ausgehen, dass Jonas nicht der Grund war. Wollte sich Andreas mal entspannt unterhalten? Uns waren aber die Themen ausgegangen. Wollte er sich Wärme suchend bei jemanden anlehnen? Ich schaltete den Fernseher wieder ein. Den Plattenspieler und das Licht aus. Bis dahin hatte ich jeden Annäherungsversuch unterlassen. Ich fürchtete meinen Wohnungsschlüssel in Jonas‘ Hand. Nun setzte ich mich aber neben ihn auf die Couch. Und verfolgte die gleiche Taktik, die mir erst kürzlich bei Kay zum Erfolg verholfen hatte. Wenn er wolle, könne er ruhig die Beine auf die Couch legen, bot ich Andreas an. Seine Schuhe standen ja unter der Flurgarderobe. Er tat es ohne zu zögern. Lehnte sich sogleich am mich, sodass ich meine Arme um ihn schlingen konnte. Wessen Pumpe in dem Moment stärker arbeitete, kann ich nicht sagen. Im flackernden Lichte des Fernsehers sah ich, dass bei Andreas eine mächtige Erektion das linke Hosenbein ausbeulte. Von da bis ins Bett war es dann kein langer Weg mehr. Mir kam nun zugute, dass ich morgens mein Bett gar nicht weggeräumt hatte.
Im Bett brachten wir ungefähr eine Stunde zu. Danach gingen wir in Bad. Denn sein Bauch war total eingesaut. Anschließend zogen wir uns beide an. Ich musste ihn runterbringen, denn die Haustür wäre sicher abgeschlossen. Andreas ging aber gar nicht sofort. Er blieb noch bis halb elf. Und hatte sogar noch die Kraft, sich mehrere Pornohefte anzusehen. Ich öffnete derweil das Fenster, um die schwangere Luft entweichen zu lassen.
Wir hatten vereinbart, über diesen Abend Stillschweigen zu bewahren. Ich werde Jonas sagen, dass ich Andreas wieder in der S-Bahn getroffen habe. Befürchte aber, Jonas wird doch wieder dahinter kommen. Andreas will das Ergebnis seiner Berlin-Recherche in meinen Briefkasten werfen. Die Art und Weise dieser Mitteilung wurde leider nicht besprochen. Ich habe Jonas gebeten, während meiner Abwesenheit den Briefkasten zu leeren. Und er schert sich einen Scheißdreck um das Postgeheimnis, wenn er sieht, von wem der Brief ist.

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