Tagebuch einer Schlange / 23. Eintrag
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Donnerstag, d. 8. März 84, Frauentag, 22.15 Uhr
Hatte die rituellen Waschungen beendet und mich in mein Bett begeben. Wollte meinem Tagebuch noch ein paar Zeilen hinzufügen. Da erhielt ich aus den Tiefen meines Leibes verschiedene Zeichen, die unmissverständlich waren. Das, was ich dieser Tage gegessen hatte, drängte beharrlich nach draußen. Mir blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen und zurück ins Bad zu gehen. Was dann bei der Anstrengung herauskam, war mehr als bescheiden. Warum das nicht bis zum nächsten Tag hatte warten können?
Bin schon die ganze Woche abends bei Jonas gewesen. So auch heute wieder. Er war beim Wäschewaschen. Ich beim Abendbrotessen. Als es klingelte. Die Tür zum Korridor war geschlossen. Wieder bange Minuten des Wartens.
Vorgestern eine ähnliche Situation. Es klingelte. Jonas ging öffnen. Nach einer Weile trat eine Frau ins Zimmer und starrte mich an. Mir rutschte das Herz in die Jeans. Jonas‘ Mutter!, dachte ich. Es war dann aber nur die Versicherungstante.
Heute Abend waren es Thomas und sein Ulf. Sie waren vorbeigekommen, weil sich Thomas von uns verabschieden wollte. Er würde in Kürze zusammen mit seiner Familie die DDR verlassen. Es wäre jetzt ganz sicher, sagte Thomas, man hätte sie deswegen schon aufgesucht. Sein Wehrbuch habe er auch schon abgegeben.
Thomas hatte uns schon vor sehr langer Zeit darüber informiert, dass seine Familie einen Ausreiseantrag gestellt hatte, obwohl er darüber hätte schweigen müssen. Die Nachricht darüber, dass es demnächst tatsächlich losgehen solle, erschütterte uns dennoch. Wir sind sehr betroffen. Mir zitterten die Hände und Jonas rannen die Tränen über die Wangen. Ihm ging der Abschied besonders nahe. Wir hatten die beiden Freunde vor hehreren Jahren kennengelernt und wir mochten beide sehr gern. Ulf tat uns leid. Er war so sehr an Thomas angewachsen. Der Trennungsschmerz wird riesig werden. Was die beiden für ihre Zukunft vereinbart haben, darüber wollten sie verständlicherweise nichts preisgeben. Wahrscheinlich werden sie sich in Prag oder Budapest treffen. Ulf habe jedenfalls nicht vor, uns so schnell zu verlassen, wie er sich beim Gehen ausdrückte.
Als Andenken ließ Thomas eine weiße Gipsbüste vom Alten Fritz zurück. Ziemlich groß!