kaputte Gedichte - Abstrakte Irrwege

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Die Blume


Die Sonne durchtränkt die kalte Erde, daß sie durch ihre Glut endlich wärmer werde. Wärmende Liebe läßt heimlich einen Keim aufgehen und wiegende Musik hilft ihm, vom Boden aufzustehen: Befreit aus der Erde erstickendem Dunkel,  entgegen reckend hellem Glücksgefunkel. Zu blühen bis in den Herbst hinein eine Blüte sich bald entfaltet, zauberhaft leuchtend im Sonnenschein. Blüte und Blatt so wohlgestaltet, voller·himmlischer Pracht, daß jedes Herze lacht. Und  mit süßem Honigduft ward ringsum erfüllt die Luft, daß Bienen im Fluge lustig singen und Frühlingsglocken selig schwingen frohe Botschaft durch Wald und Flur. Ihr Läuten weite Freude kündet, ganz zart in Moll und Dur, daß niemand  eine schönere findet. Das Glühen zarter Farben im Sonnenlicht, vor dem alle Grau erstarben und von dem jeder in höchsten Tönen spricht, verdeckt nicht böse Narben, erleidet in vielen rauen Stunden, die wetterlaunisch kommen und gehen, schwarze  Finsternis und brechende Stürme sehen. Die Blume blüht leuchtend einen Sommer lang, bis der Herbst ihr·alle Farben nimmt. Verschwunden ist nun der Glocke heller Klang, ihr Ton vom grauen Schleier umgestimmt, und süßer Duft ist längst  verbraucht, wie kalte Asche längst verraucht. Drückende Musiken die Sinne trüben, die schonungslos den Herbst beschreiben, zitternde Hände einen stützenden Stock zur Blume fügen und ihn sanft in die kalte Erde treiben. Festen Halt soll  er ihr geben an noch vielen herbstfrohen Tagen. Doch bald werden strenge Winde fegen und er wird einsam in den dunklen Himmel ragen. Nachdem in stiller Nacht weißer Reif ihr Haupt bedeckt, hat sie in kristallener Pracht des Todes Sense zu Boden gestreckt  und lautlos·ihr die Augen zugemacht, legt vor dem Winter sie ruhig nieder. Der Wind singt zum ewigen Schlaf ihr seine schönsten Lieder. Heimgekehrt wie ein verirrtes Schaf in seine schützende Herde, so geht die Blume zurück in ihre Erde. Ein  letztes Lächeln, still und taub, eingerahmt in goldenes Laub!

Rostock, März 1977



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