Tagebuch einer Schlange / 28. Eintrag - Abstrakte Irrwege

Direkt zum Seiteninhalt

Tagebuch einer Schlange / 28. Eintrag

Texte > Tagebuch Schlange
 
Donnerstag, d. 05.04.84

Zu Jonas‘ Eintragung am 7. März: Ich kann mich erinnern. Habe bei Jonas Abendbrot gegessen. Bin danach bald nach Hause gegangen. Wollte meinen Kolleginnen etwas Schnuckliges zum 8. März zaubern. Es war ihnen als Wiedergutmachung versprochen worden. Weil ich sie ein wenig ärgern wollte, hatte ich in meinem Schreibtischkalender den Zusatz „Internationaler Frauentag“ durchgestrichen. Dazu hatte ich mir ein verführerisches Konfekt ausgedacht. Mit Rummarzipan und Weinbrandkirschen. Ich hatte auch schon an den Abenden davor daran herumgebastelt.
Als ich also an dem Abend bei Jonas aus der Haustür kam, sah ich von rechts einen Jungen kommen. Sieht beinahe aus wie Andreas, dachte ich noch. Ich ging nach links weiter. Drehte mich später sogar einmal um. Konnte ihn aber nicht erkennen, weil es schon zu dunkel war. Und die Entfernung zu groß. Sah ihn aber in dem Haus verschwinden. In solchen Momenten wünsche ich mir immer, ein Vogel zu sein. Dann hätte ich fix rüber fliegen können und durchs Treppenhausfenster sehen, bei wem er klingelt.
Hatte die Sache schnell wieder vergessen. Denn schon bald, nachdem ich zu Hause war, kam unsere Versicherungsfrau. Sie übergab mir einen Zusatzschein zur Haushaltsversicherung. Obendrein setzte sie mir wegen der Höhe der Versicherungssumme einen Floh ins Ohr. Am nächsten Abend war ich wieder bei Jonas. Da hat er mit keiner Silbe erwähnt, dass er am Vorabend noch nach mir Besuch von Andreas hatte. Natürlich hat ihn der Abschied von Thomas in helle Aufregung versetzt. Ihn mit Leid und Trauer überschüttet. Das konnte aber unmöglich sein Erinnerungsvermögen gelähmt haben. Vorher, beim Abendbrot hätte er beichten können.
Im Moment scheinen sich die beider wirklich prima zu verstehen. Jonas und Andreas. Zuerst kam Andreas lange Zeit gar nicht. Und jetzt fast regelmäßig. In diesem Jahr war er bereits viermal mit Jonas zusammen. Beim letzten Mal, am 24. März, hatte er sich gleich für den 7. April angesagt. Also übermorgen. Bin gespannt, ob er kommt. Wenn er da ist, kommt er immer. Kleiner Witz. Er wollte vorher schreiben, hat Jonas gesagt. Bis jetzt scheint er aber noch keine Post bekommen zu haben. Er werde wohl auch nicht schreiben, sagte ich zu Jonas. Denn er wisse ja, dass er trotzdem erwartet werde. Ich werde Jonas jedenfalls zur fraglichen Zeit allein lassen. Was ich während der Zeit anstellen werde, weiß ich noch nicht. Mal sehen, wie mir dann an der Mütze ist. Vielleicht gehe ich in Warnemünde in die Schwimmhalle. Oder ins Kino. Oder in beides. Mal sehen. Wenn das mit Andreas zur festen Institution wird, dann hat Jonas wohl keinen Grund mehr zu meckern!
Am 20. März, einem Dienstag glaube ich, hatte ich zwei Sportfreunde hier. Wollten die nächsten Wanderungen besprechen. Im Anschluss an unsere Beratung, die gegen 19.30 Uhr beendet war, wollte ich Jonas noch einen Besuch abstatten. Habe gegen 19.50 Uhr mehrmals bei ihm geklingelt. Vielleicht war er nicht zu Hause. Hat jedenfalls nicht geöffnet. Habe ihn später nicht danach gefragt. Gesagt hatte er aber auch nichts.
Letzten Sonntag waren wir beide zuerst in der Kunsthalle. Es wurde finnisches Glas ausgestellt. Hat uns sehr gut gefallen. Dann durch den Botanischen Garten. Der sah natürlich noch recht kahl aus. Dorthin sollten wir ruhig öfter mal gehen. Für dieses Wochenende haben wir uns den Zoo vorgenommen.

Zurück zum Seiteninhalt