Spatzgeschichten
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Traum oder Hölle?
I
Die, die Morpheus zu seinen Jüngern macht, die lässt er viele Male in der Folter leiden. Süßen Wein schenkt er ihnen ein zur ersten Nacht, zur zweiten dann, und so immerfort, bitteres Gift in denselben Kelchen aus feinstem Kristall; süß allein bleibt nur sein schönes Wort. Unter seiner Mutter schwarzem Mantel scheiden sie von den Wachen und überall, wo bis dahin das Licht der warmen Sonne war, wo bunte Blüten leuchteten im leichten Sommerwind unter einem azurnen Dach, so weit und klar, da herrscht jetzt die Nacht mit ihren Kindern.
II
Auch mich hält er berauschend in seinem Banne, bin ihm kraftlos ausgeliefert. Wenn ich könnt, ich riefe, laut schreiend, in die Welt hinaus nach dem hellen Tag, dass er den Mantel von mir reiße und, mit falschem Wein gefüllt, die goldene Kanne zerbreche an der Vögel lieblichem Singsang. Still erdulden aber muss ich‘s, auch wenn ich‘s nicht mag. Kleine Teufel hämmern auf meine wunde Seele ein und binden mir die Zeit als Klotz ans Bein, zerren einen geschmückten Fels mich hinauf und stürzen freudig mich in eine leere Tiefe. Unendlicher Fall treibt kalten Schweiß mir aus alle Poren, der Gestürzten heisere Schreie brausen vorbei an meinen Ohren. Doch plötzlich ein süßer Ton ganz Anderes verspricht: Mir ist, als wenn im duftenden Frühling die belebende Sonne durch die grauen Wolken bricht.
III
Heute finde ich in trüben Pfützen goldene Sterne, ihr Leuchten schwimmt heran aus dunkler Ferne. Schade, herausfischen und trocknen kann ich sie nicht, denn im Wasser glitzert nur das Sonnenlicht. Aber morgen vielleicht schon find ich eine glasklare Murmel, zwischen Gras und Blumen, verwaist am Straßenrand. In ihr bau ich mir ein eignes Haus, so groß dann wie ein Palast, mit hohem Turm, weitblickend und stärker als jeder Sturm. Die Erde erscheint mir als ein lautes Karussell und ich selber dreh geschwind die schöne Kurbel. Übermorgen dann werd ich sie wie eine Katz ersäufen im schönsten aller Sommerregen.
IV
Nackt liege ich danach an ihrem Meeresstrand und spie1 mit Freunden vergnügt im weißen Schnee. Wenn es Abend wird durch Gotteshand und ich leise über Blumenwiesen geh, dann lacht mir von Herzen eine grüne Sonne. Blinzelnd läuft sie mit mir um die Wette. Das Ziel ist am Horizont Diogenes in seiner Tonne und ein Tautropfen am Morgen der königliche Preis.
V
Wenn die träge Zeit beginnt, langsamer durchs enge Glas zu rinnen, wie zum Mahlen gelber Reis in die müde Mühle fällt, mit Strenge darauf bedacht, dass kein Korn verloren geht, dann geh ich hinaus aufs große Feld und begieß mit Morpheus‘ bitterem Weine all die unbeseelten, kalten Steine. Daraus erwächst mir, wenn kalt der Nachtwind weht, bis zum Morgen der schönste aller Bäume. Reiche Ernte reift beständig an seinen Zweigen. Tagein, tagaus gibt er mir Brot zum Leben; und unter der Tomaten Last sich seine Arme neigen. In seiner Krone aber schaukeln fremde Träume.
VI
Während andere im Sumpf des Lebens hoffnungslos versinken, sing ein Lied ich mir von hölzernen Pferden und spielenden Steinen auf heißem Lavastrom, und rede mir ein, ich wär der glücklichste Mensch auf Erden.
VII
Beizeiten nehm ich Abschied dann von den Meinigen und wandre über hohe und tiefe Berge hinein ins heilige Innere des Lebens, lass mich mit geschliffenen Achaten zu Tode steinigen durch verhasste Menschen, Kobolde und Zwerge. Von funkelnden Augen seh ich mich im Dunkeln umringt. Nun sitze ruhig ich am Fenster meines Zuges, der geschwind wie der Wind mich zu andren Sternen bringt. Die Meinen suchen mich vergebens, denn längst schon bin ich auf der lieben Sonne ausgestiegen und im Nu zu Nebel verdampft. Trübe schwebe ich durch den rosigen, unendlichen Raum und sammle mich doch wieder, wie der große Regen in einer hölzernen Tonne oder im Herbst das faulende Obst unterm Baum.
VIII
Eiszapfen tropfen warm mir auf mein blaues Herz. Trommelwirbel stürmt durchs bunte Haus, dass der schwere Giebel krächzend stöhnt. Unterm Dach erhängt, lacht doch der tote Spatz. Drinnen wohnt seit Langem schon eine süße Maus. Sie bindet sich ihre große Schürze um und bittet mich zu einem Gläschen Morgentau. Sie ist sehr lieb zu mir, ich wurde lange nicht so verwöhnt. Verträumt lieg ich in ihrem Arm. Ist dann ein Jahr vergangen, nehm ich sie zur Frau und sie mich zum Mann. Mit unseren Kindern spiel ich dann verwegen Räuber und Gendarm. Wenn dann die Zeit gekommen ist, zieh ich mich sacht zurück, sterbe dann als alter Mann vor lauter Glück und gebär mich selbst aufs Neu als schillernden Schmetterling.
IX
Im Frühling sonne ich mich auf duftendem Heu und flattre trunken von Blüte zu Blüte. Ich sticke mir aus taubenetzten Fäden ein silbernes Kleid zum Schmetterlingsball. Mit einem Freund will ich tanzen fünf lange Nächte hindurch auf einer leeren Tüte, bis mir die Flügel erlahmen, gleich rostigen Fensterläden. Und find ich keinen, muss die Welt erfahren: Auch Schmetterlinge können weinen.
X
Bunte Raketen schieß ich hoch in die Luft, dass nach allen Seiten mit lautem Knall die Sterne stieben. Drei Kastanien bring ich auf eine Umlaufbahn und den grauen Austern lehr ich das Fliegen. Morgens, wenn der Mond am höchsten steht, besteig ich mit einer Angel meinen wassersüchtigen Kahn und fahr mit dem Wind weit hinaus, Amseln und Erdnüsse mir zu fischen.
XI
An finstren Tagen und bei Wolkenbruch ist Hexentreff und Dämonentanz auf allen Tischen. Gläser klingen, gefüllt mit violettem Wein. Ich trinke ihn aus Melonenschalen, lach beim Kopfstand und winke mit einem Bein.
XII
Die Krähe, das laute Wesen, kehrt heim. Ich schickte sie aus, zu spionieren. Mit ihrer Hilfe gelang es mir, die Zeit zu fangen. An einem schönen Tag dann werde ich sie, die schamlos sich an mir vergangen, auf blumenbekränztem Hauklotz guillotinieren. Ist sie dann tot, bau ich ihr ein Grab und behäng den Marmor mit samtenen Perlen und funkelndem Geschmeide. Ihre Gruft soll schillern und rauschen wie die Wellen eines himmlischen Meeres. Trauer ebbt dann aus allen Städten, erheben wird sich lüsternes Kriegsgeschrei eines wilden Heeres, ist sie endlich eingemauert und verbannt. Jubel überflutet das schlüpfrige Land. Nur einer vielleicht, der Teufel möglicherweise, bedauert ihr Scheiden und leise wechselt er die Maske. Im Spiegel nun sieht er sich als Müßiggänger, als aufgeschwemmter Dummenfänger. Die Zeit habe ich eilends umgebracht und scharf noch immer ist das Beil. Sollt darum ich nicht in schöner Nacht auch die Menschen gleich von ihrer Seel befrein, ihr Gewissen töten und somit tilgen all ihre Pein? Nein, sollen sie damit leben und verderben. Meine werd ich tief in mir still verbergen.
XIII
Oh, könnt ich nur erwachen aus meinem Traum!
XIV
Wie der Wind kommt und geht, so wechselt auch Freud und Leid. Gerad, wie er so launisch zu uns herüber weht, so greift die Sehnsucht nach einem neuen Kleid. Ist sie dem einen wohlgewogen, fühlt sie sich schon zum anderen hingezogen.
XV
Dann sehe ich Ameisen in einem Totenkopf, wie sie geschäftig Reinemachen, wie sie fegen, schrubben und polieren, über das kleine runde Loch herzlich lachen und darum herum die schönsten Reliefs eingravieren. Die bleierne Kugel dient ihnen als Opferstein, auf dem sie ihrem Gott ihre kleine Zukunft weihn.
XVI
Allein irre ich durch diese Hölle. Nachtschwarz umwölbt mich ringsum Nebel und feuchtkaltes Gestein. Die Anderen schworen den Eid wohl nicht so dumm, als sie vor ihrem Richter standen, und werden jetzt im Himmel sein, wo sie sicher göttliche Aufnahme fanden.
XVII
Bin ich wach, endlich wach?
Rostock, März 1979
(06. Mai 2011)