Spatzgeschichten - Abstrakte Irrwege

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An Kuros, Sohn des Tesanus


Das weite Meer, Okeanos, kühl und berauschend, lag, einem stillen See gleich, verschlafen vor seinen Ufern, zerklüfteten hohen und sanften flachen. Einsam stand, den launischen Stürmen trotzend, die das Meer dem Lande sendet, zum Gruße und zur Mahnung, auf festen Pfählen gut gegründet, da das schlichte Haus auf hohem Fels. Hierher, in die tosenden Nächte und die Schwingen schlagende Ruhe sonniger Tage, zog sie sich, mit langem wallenden Haar, schwarz wie Ebenholz, den Augen eines Rehes, dem Körper eines Frühlingsmorgens, zurück, unsterblich als Tochter des Himmels, und macht allein durch ihr Dasein die Hütte zum herrlichsten Tempel, der Aphrodite geweiht, alles glänzend in Gold und Kristall. Der Duft bezaubernder Rosen, hervorbrechend aus Sand und taubem Gestein, ließe die Sinne schwinden den Sterblichen und mit Ambrosia gefüllt sind köstlich die Schalen und mit Honignektar golden die Krüge auf der festlich geschmückten Tafel, labend den zufälligen Gast, den unsteten Wanderer, der einst des Weges wohl kommen mag. Hat die Herrin selber sich gestärkt am göttlichen Mahl, erfrischt am glasklaren Quell, bettet sie auf daunigem Ruhelager sich, oben auf gratigem Fels, hält Zwiesprache mit Helios und lässt von des Okeanos lauen Winden sich leicht umschmeicheln. Kräftige Delfine huldigen ihr, schießen wie Pfeile silbern durchs azurne Nass. In luftiges Weiß gehüllt, keine Kontur verbergend, von Blüten eingerahmt, ihr Haar nach allen Seiten fließend, wie Bäche, plätschernd aus den Bergen herabströmend, selbst der ferne Rosselenker wird schwach bei diesem Bild. Unfähig bin ich, es in richtigem Maße zu besingen. Hierher kam einst Kuros, Sohn des Tesanus, verirrt auf seiner Jagd, ein strahlender Jüngling, ein Knabe noch fast, noch nicht umschattet seine Wangen vom leichten Flaum, Ebenbild des Apollon, schwarzlockig, mit Augen, so leuchtend wie Helios selbst, und kraftvollem Wuchs. Lauschend vernahm er, innehaltend in seinen suchenden Schritten, liebliches Saitenspiel, wie von Götterhand gezupft, her vom steilen Fels. Nie zuvor, seit es Menschen gibt, ist einem Sterblichen etwas Höheres beschieden, hat ein Unglücklicher, ein Schwacher vor dem Thron, Göttlicheres gehört, noch davon geträumt. Leichten Fußes, dicht an den Fels geschmiegt, bezwingt er, Kuros, den steilen Garten, voller Rosen, blühend und blendend. Der erstrebten Stätte nahe gekommen, erblickten seine schönen Augen, verborgen hinter dichtem Grün, die zarte Venus, entschlummert vom berauschenden Klang des eigenen Spiels, das Saitenspiel, ihren zarten Händen entglitten, am Boden. Schneller schlug das schwache Herz dem Jüngling, bis zum Zerspringen fast, als er solches sah, die Knie drohten den Dienst ihm zu versagen. Treibt Morpheus seinen Spaß mit ihm, mit Bakchos im Verein, aber nein, leer seit Tagen schon der Schlauch mit köstlichem Rebensaft. Sicher gab der Durst, quälend seit dem letzten Morgen, ihm solches Trugbild ein. Schweren Herzens schloss er sanft die dunklen Augen, umflort von Hades weitblickenden Schwingen. Kuros fiel, den Abhang glücklich meidend, in die duftenden Arme seiner jungen Sehnsucht, die aus flachem Schlaf erwachte, gerad, als er die Augen schloss. Behutsam trug sie den holden Knaben, an die weiße Brust ihn drückend, in ihr Schlafgemach, voller Zärtlichkeit und Sorge. Allein wachte sie an seinem Lager, bis der nächste Morgen graute, den schwarzlockigen Kopf in ihren Schoß gebettet, kühlend seine heiße Stirn. Jede Perle, die seinem Antlitz entspross, salzig wie das lebendige Meer, seine Lieder netzte, klarem Tau gleich, und die Wange hinabrollend zu entfliehen suchte, fädelte sie auf eine Schnur, hauchdünn aus purem Gold. Hiermit, erstarrt zu samtenem Glanz, ihn schmückend, legte sie die Kette um seinen bronzenen Hals. Liebevoll strich sie über sein volles Haar, bewundernd die schönen Züge in dem schlafenden Gesicht, das Ebenmaß des Körpers lobend, bis am Morgen, mit des Okeanos Fluten, das Leben zurückkehrte und der Jüngling, noch schwach und Hilfe findend, die Lieder aufschlug. Sich so unterstützt aufrichten sehend, verschloss er sogleich sich wieder dem hellen Taglicht, wähnte er doch zu träumen noch. Aufzuwachen nun, hieß sie ihn, nicht länger mehr den Toten zu spielen, sich zu stärken am köstlich aufgetragenen Mahl und zu berichten. Nachdem sie ihn in munterem Quell erquicklich hatte gebadet, gab sie zu kosten ihm göttliche Ambrosia und goldenen Nektar, nie ward er durch mehr Bissen je so gestärkt, als hiervon einmal nur zu schlucken. Schnell kehrten die Sinne und Kräfte zurück ihm in seinen jungen Körper. Auf den Knien dankte er seiner schönen Retterin, versprach, huldigend ihrer zu gedenken sein Leben lang. Gefangen in den Schlingen, die sie andern sonst nur legt, erbittet sie sein Bleiben. Nur allzu gern ist er bereit, überallhin ihr zu folgen. Ein langer Tag geht schnell dahin, zählt niemand seine Stunden. Angefüllt war dieser mit Saitenspiel und schönen Liedern, mit Sehnsucht und Verlangen, wie eine Schale voller Wein, in die man einen Krug entleert. Das Lachen und Scherzen begleitete sie bis zum dunkelsten Abendrot, bis hinein in den Tempel der Liebe. Geschlossene Augen und ein schweigsamer Mund, die weißen Kleider beiseitegelegt, zogen den schönen Jüngling zum weichen Lager nieder, unbehaart noch sein weiches Kinn, zu Liebesfreuden seine Lenden dennoch längst bereit. Schnell entschlummert, nach kurzer Nacht, selig der schwarze Knabe, träumend von einer verirrten Jagd. Als am späten Morgen, durch der Vögel Singen, glückstrahlend er erwacht, liegt in einer kahlen Hütte er, windgeschüttelt und ohne Tür und Fenster. Ein schöner Traum war‘s wohl, den in einer Ohnmacht er geträumt. Doch da steht ein Korb, wundervoll geflochten und von einem Spatz bewacht, mit göttlichen Gaben für den weiten Weg, ein kleines Täfelchen, von zarter Hand beschrieben, weist ihm die Wirklichkeit des Traumes: Ich selber war‘s, Kypris, die Schaumgeborene, die du in deinen Armen hieltest, fest umschlossen. Jetzt mahne ich an dein Versprechen, ich schenkte dir ewige Jugend dafür. So schrieb sie in weiches Wachs, für diesen Sommer war es ihr letzter Tag auf Erden.
Glück für dich, mein Kuros, Sprössling des Tesanus. Deiner will ich ehrend gedenken und eines anderen Themas.



Rostock, Juni 1979
(06. Mai 2011)



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