Spatzgeschichten - Abstrakte Irrwege

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Spatzgeschichten

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In der Sauna


Die blauweiß-gestreifte Badetasche unterm Arm, öffne ich die weiße Tür, plastbeschichtet. Zuerst meine Jacke über einen der blanken Bügel Bügel - wie seltsam, eine kleine Feder den Kragen ziert, graubraun, wie von einem Spatz - und dann die Schuhe ausgezogen. Während ich noch sitze und die Badelatschen such, spür ich die ersten Blicke neugierig auf mich lasten. Scheinbar in Gedanken tief versunken, geh ich zum Spind mit der Nummer zehn, in das ich meine Klamotten stopfen soll. Dabei geht mein Blick, ganz flüchtig nur, in den hellen Ruheraum: kaum ein Platz, der noch frei. Mehr sehe ich nicht. „Bist du da?" ist meine bange Frage. Jetzt die Toilette kurz benutzen, natürlich, und dann, frisch geduscht, tauch ich ein ins rote Licht, fünfundachtzig Grad, holzverkleidet. Drei Stufen stehen zur Wahl, dicht besetzt mit nackten Körpern, die sich fast berühren. Auf der zweiten find ich noch ein Plätzchen, dorthin lege ich mein Handtuch, nur dunkelgrün. Jetzt erst senken sich die vielen Köpfe wieder, um auf den nächsten Gast zu hoffen. Ein Weilchen noch und die Hitze beginnt zu wirken. Verstohlenen Blickes mustre ich die Reihen. Schweiß perlt von meist bekannten Gesichtern, über manch krause Brust rinnt ein salziger Strom und dicke Bäuche glänzen im matten Licht. Enttäuscht blicke auch ich jetzt vor mich nieder, auf einen allzu breiten Rücken muss ich sehn, und zähl die schnellen Tropfen, die von meiner Nase fallen. Die Hitze steigt mir in den Kopf, das Herz schlägt schon gewaltig: Ein wenig halte ich noch aus. Draußen jetzt, im Ruheraum, erholt mein armes Herz sich wieder. Doch da, die Tür wird aufgestoßen und du trittst herein, vom Schwimmen kommend. Mit einem Freunde lauthals scherzend, durcheilst du den gefliesten Raum. Munter werden jetzt all die müden Tattergreise, die solang nur vor sich hin gedöst. Ihre unverschämten Blicke all kleben widerlich an deinem saubren Körper. Schleimig gleiten sie genüsslich von oben nach unten, bleiben dann hängen an deiner Badehose, einfarbig glänzend blau, geheimnisvoll, die du schelmisch jetzt entfernst: prachtvoller bricht keine Rosenknospe auf. Welcher der jungen Götter Griechenlands, verwöhnt mit Nektar und Ambrosia, hätte sich mit dir messen mögen? Davidgleich baust du dich vor mich auf, wohl wissend um meine geheimsten Gedanken. Das Handtuch fest in meinen Schoß gedrückt, zähl ich errötend die Lichter an den Wänden. Hinten regen sich die grau melierten Schläfen, manche Brust wird aufgebläht, sonst krankhaft schlaff, und ein längst vergessenes Prickeln erwacht ihnen unterhalb des feisten Bauches. Hier kann kein Herze ruhig schlagen, willenlos folgt dir mein Blick. Der Raum ist klein: hier bin ich stets in deiner Nähe. Ich saug dein Bildnis auf in mir, das Leuchten und den Duft, mit all meinen Sinnen, tanke mein Gedächtnis voll bis an den Rand. Für eine lange Woche muss der Vorrat reichen, dann erst kommst du wieder. Und ich auch.



Rostock, Nov. 1986



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