Die Hoschköppe / 121. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 121. Kapitel

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Dienstag, 4. April 1989


Hallo Friedemann                                                                                                                     Rostock den 30.3.89
Ich habe deinen Brief erhalten und ich freue mich das du geschrieben hast. Mir gefält es ganz gut da in Barth. Ich muß da Schweißen und Brennen und Streichen und dan machen wir zwischen dur alle auf dem Hoff alles fertig für die Kapanje die im Oktober wieder begindt mit den Rüben dan muß alles fertig sein die ganzen Repaturen auch im Zuckerhaus den da kommen 2 neue Kochaperate rein. Da komt erst ein neuer Krahn von Merseburg mit ein 60 m Ausleger hat und der wird bei uns zusammen gebaut. Eine Wohnung habe ich dort nicht ich Wohne im Wohnheim und bin mit noch 2 Mann auf dem Zimmer meine Wohnung habe ich in Lütten-Klein noch. Wir gehen in der Woche 3 mall Angeln und gehen auch mall in der Kneipe ein schönes Bier trinken. Eine Schwimmhalle oder eine Sauna haben die nicht da da für einen schönen großen Strand. Da giebt es auch schöne und hübsche kleine Jungen die gut aussehen die gefallen mir ser gut sonst halte ich das nicht aus ich brauche die Jungs das weißt du ja. Ich möchte gerne auch mit dir nach Warnemünde gehen aber leider das geht nicht. wen ich auf Urlaub komme ich bei dir vorbei aber dan schreibe dir vorher noch bescheit.
Schreibe bitte in Drukschrieft
Das wers für heute es grußt dir Klaus

Mit diesem Klaus Z., dessen Leben durch mehr dramatische als komödienhafte Züge gekennzeichnet ist, hat es eine besondere Bewandtnis. Ich erzählte wohl schon von ihm. Auch er hatte 1977 in diesem Haus ein Arbeiterschließfach bekommen, allerdings weiter oben. Klaus war von Anfang an sehr zugänglich und hilfsbereit, aber leider auch etwas zu naiv, vorsichtig ausgedrückt. Es brauchte keine detektivischen Fähigkeiten, um bald mitzubekommen, worauf sich seine Intentionen richteten. Er machte mir gegenüber auch kein großes Geheimnis daraus. Die jungen Burschen, die bei ihm ein und aus gingen und mich zum Teil mit Neid erfüllten, machten das recht deutlich. Klaus und ich hatten uns schnell angefreundet, denn ich war noch relativ neu in Rostock und erhoffte mir durch ihn an für mich wichtige Informationen zu kommen, und so haben wir öfter mal einen kleinen Schluck zusammen gepichelt. Dummerweise ging er immer dann, wenn er sich ein wenig in Stimmung getrunken hatte, etwas zu sehr auf Tuchfühlung für meinen Geschmack. Dummerweise deswegen, weil er überhaupt nicht mein Typ war. Die Burschen, die ihn umschwirrten, hatten mich schon eher interessiert, aber von denen habe ich nie einen abbekommen. Eines schönen Tages hatte er dann plötzlich geheiratet. Da er mit mir vorher nicht darüber gesprochen hatte, wusste ich nicht, was sich Klaus davon versprach. Vielleicht glaubte er, dass auch eine Frau ihm die Liebe geben könne, die er suchte. Dass es aber nicht an dem war, musste ihm sehr bald schmerzlich bewusst geworden sein, denn er lud sich wieder seine Jungs ein. Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl dabei, was ich ihm auch zu verstehen gab. Oft hatte ich mich gefragt, was wohl seine Frau dazu sagen mochte, wenn er einen dieser Jungs sogar nachts bei sich behalten hatte. Für sie musste das ungeheuerlich und genauso schmerzvoll gewesen sein. Ich fragte ihn deswegen einmal, wo denn der Bengel schlafe, wenn der die ganze Nacht da sei. ‚Der liegt natürlich bei uns mit im Bett‘, hatte er mir grinsend und scheinbar ohne schlechtes Gewissen erklärt. Da ich im Grunde und eigentlich vom Lande stamme, überstieg diese Möglichkeit meine Vorstellungskraft. Es kam dann auch, wie es zu erwarten war: Die Ehe ging kaputt. Das heißt, sie war von Beginn an nicht heil. Seine Frau reichte die Scheidung ein. Und ich denke, nicht nur aus dem Grunde, weil das Bett zu schmal war. Klaus war während dieser verhängnisvollen Phase oft unten bei mir, um von den kleinen Abenteuern zu erzählen, die er nebenbei erlebte und meist von harmloser Natur waren. Noch öfter hatte er aber bei mir gesessen, um sich auszuweinen, wenn es absolut nicht mehr weitergehen wollte. Dann wurde Klaus auf Bewährung verurteilt. Sein kleiner Neffe hatte zu Hause empört berichtet, Onkel Klaus habe ihm im Keller nur fünf Mark geben wollen, wenn er seinen kleinen Schniepel aus der Hose hole. Klaus hatte alles abgestritten, auch vor Gericht. Und auch mir gegenüber, als er das erste Mal angstvoll davon erzählte, was nun alles auf ihn zukommen werde. Auf der Couch sitzend hatte er Rotz und Wasser geheult und immer wieder hoch und heilig beteuert, dass es einfach nicht stimme, er habe nie seinem Neffen solch ein Angebot gemacht. Aber mir konnte er nichts vormachen! Das sagte ich ihm aber nicht gleich. Erst viel später hatte Klaus mir dann erzählt, wie es sich wirklich abgespielt hatte. Dann zog er mit seiner Frau in einen anderen Stadtteil, in eine größere Wohnung, die er sofort genauso kitschig einrichtete wie die erste. Bald darauf kam die Scheidung. Beide mussten notgedrungen in der Wohnung bleiben, jeder hatte aber dann sein eigenes Zimmer. Nun arbeitet er außerhalb und wohnt in einem Wohnheim.
Wie sich die Zeiten ändern! Als ich damals von meiner Mutter oder meiner Schwester einen Brief mit einem Fünfmarkschein ins Pionierferienlager geschickt bekam, war das für mich ein glückliches Ereignis und sehr willkommenes Geschenk. Heutzutage scheinen fünf Mark selbst für so kleine Knirpse eine lumpige und allzu lächerliche Summe darzustellen.


Montag, 20. März 1989 - Mittwoch, 19. April 1989

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