Die Hoschköppe / 33. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 33. Kapitel

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Donnerstag, 15. September 1988


Aus dem Sekretariat meines Ärztlichen Direktors hatte ich Jochen angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich früher nach Hause fahren werde und mich demzufolge für ihn am Fahrradladen anstellen könne, wenn er das wünsche. Ich wollte sowieso hin, um mein Rad abzuholen. Er wäre dann mit Sicherheit gleich an der Reihe, wenn er mit dem Rad von der Arbeit ohne Umwege dorthin käme. Jochen lehnte dieses Entgegenkommen aber mit der Begründung ab, sein Rad sei nicht geputzt. Das sei doch Quatsch, meinte ich leicht verstimmt, denn ich hatte meines auch nicht vorher geputzt. Und das war gut so, denn als ich es kurz nach 3 in Empfang nahm, musste ich mit Entsetzen feststellen, dass der Ledersattel total mit dreckigem schwarzem Öl verschmiert war. Der Sattel war durch die Flecken für sein Leben lang gezeichnet. Das war alles im Preis mit inbegriffen.
Nachdem Jochen erst zu sich gefahren war, um sein Rad in den Keller und seine Tasche in die Wohnung zu schaffen, kam er sofort zu mir. Er machte einen gehetzten Eindruck. Die Ahnung, ich sei nicht allein, schien ihm alle Ruhe zu rauben. Dabei geisterte ich mutterseelenallein durch meine Wohnung, was ihn wieder einigermaßen zu sich brachte. Da ich das Partei-Informationsblatt zum „neuen“ Wartburg mitgebracht hatte, bekam er das als Erstes in die Finger, was ihn abermals in Rage brachte. Der horrende Preis dieses Wagens gab allerorts Anlass zu heiß geführten Diskussionen und Unmutsäußerungen, die sich nicht nur in Worten ausdrückten. In diesem Informationsblatt war nun eine eilends fabrizierte Begründung zu lesen, die aber so nicht hingenommen wurde, auch nicht von den Genossen.
„Was regst du dich so auf? Wir kriegen sowieso kein Auto. Nie im Leben!“, sagte ich.
Es war geplant, nach dem Abendbrot in die Sauna zu fahren. Nun meinte Jochen, als wir mit dem Essen fertig waren, dass wir besser daran täten, wenn wir zu Hause blieben und das Geld sparen.
„Gut, wenn du nicht mitwillst, dann fahre ich eben alleine“, sagte ich. Warum sollte ich für ein Auto sparen, das ich in zwanzig Jahren noch nicht haben würde.
„Und du fährst auch nicht!“ Jochen sagte es so, als meine er es wirklich allen Ernstes.
Wir sind dann aber doch gefahren und mussten nur zwanzig Minuten warten, bevor wir aufgerufen wurden. Es war unangenehm voll. Ein kollektiver Saunagang einer ganzen Brigade verbreitete lauthals Ungemütlichkeit. Und nichts darunter, was mir hätte gefallen können. Erst später kam jemand, mit dem ich es durchaus hätte treiben mögen. Leider waren wir beide bereits beim Anziehen, als dieser Blonde versuchte, mittels Sitzbank eine Flasche Limo aufzumachen.
„Möchtest du einen Öffner haben?“, fragte ich ihn, hilfsbereit, wie ich bin. Wenn es um jüngere Männer geht! Ja, wenn er einen bekommen könne, wäre er sehr dankbar, meinte er. Es dauerte ihm aber zu lange, bis ich mein Ding, ich meine den Öffner, rausgewühlt hatte. Mit der Bank war er doch schneller.
„Solange konntest du wohl nicht warten?“, beklagte ich mich. Dafür bot mir der Fremde freundlich zu trinken an. „Nein danke, dann hätte ich ja nicht in die Sauna zu gehen brauchen.“ Was natürlich ein Trugschluss war.
„Ich hab schon wieder genug gesehen“, konstatierte Jochen hinterher, als wir uns die Schuhe anzogen.
„Wieso, was meinst du?“, wunderte ich mich.
„Sogar in der Sauna hast du Schlag bei den Kerlen. Hast du nicht gesehen, wie seiner immer höher kam?“
„Nein“, bedauerte ich, wie konnte mir das entgangen sein. Wir hatten inzwischen die Schwimmhalle verlassen und waren auf dem Weg zum Bus. „Vorhin, unten bei den Duschen, da hätte ich auch einen Bengel mitnehmen können.“ Ich wiederholte die ganz eindeutige Handbewegung, mit der ein Bengel meine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte, als wir einen Augenblick allein waren.
Wir hatten die Bushaltestelle noch nicht erreicht, da beklagte sich Jochen über seine angeblich zu geringen Chancen.
„Du lässt aber auch nichts aus, um bei Anderen Trotz hervorzurufen“, hielt ich ihm vor. „So machst du das mit Thomas und so machst du es auch mit mir.“
„Du hast aber in der letzten Zeit auch gelernt, um dich zu beißen und wehzutun“, konterte er.
Zugegeben.
Bei Jochen zu Hause spülte ich unsere Saunasachen und hängte sie im Bad zum Trocknen auf. Dann löffelte ich den Rest aus einer Melone. Bei Thomas brannte Licht im Zimmer. Zwischen Viertel und halb 10 ging ich nach Hause. Jochen hätte es zwar lieber gesehen, wenn ich bei ihm geblieben wäre, doch ich war trotzdem gegangen. Ich werde bestimmt noch auf sein, wenn er dann nachsehen käme, meinte ich boshaft beim Abschied. Zehn Minuten vor 10 kam Jochen tatsächlich. Obwohl ich mich deswegen mächtig ärgern musste, konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Mit reinem Gewissen ist eben gut Lachen. Jochen sah hingegen schon wieder ziemlich böse aus und fragte: „Hast du mir was zu sagen?“
„Nein!“ Was sollte ich ihm denn zu sagen haben?
„War er hier?“, fragte Jochen barsch.
„Nein.“ Er blufft schon wieder, dachte ich.
„Ich habe ihn doch aus dieser Richtung kommen sehen.“
„Bei mir war er jedenfalls nicht und er hat sich auch nicht bemerkbar gemacht. Vielleicht ist er vorbeigegangen?“ Ich zuckte fragend mit den Schultern. So richtig wollte ich Jochen nicht abnehmen, dass er Thomas tatsächlich gesehen hatte. Jochen vermutete dann, Thomas habe die Lage auskundschaften wollen, habe zur Tarnung bei sich das Licht brennen lassen und schleiche nun hier herum. Zuerst habe Jochen etwas an seiner Tür rascheln gehört, was mich stutzig werden ließ, denn Jochen ist mit seinen Ohren nicht besonders gut zu Fuß. Da habe Thomas bestimmt horchen wollen, ob er, Jochen, allein sei.
Das muss dann schon ganz schön geraschelt haben, dachte ich. „Du hörst und siehst schon überall Gespenster“, sagte ich zu ihm. Das konnte ja wieder heiter werden.
„Ja, ich bin schon ganz verrückt. Bald habt ihr es geschafft“, bestätigte Jochen.
Ihn ins Grab zu bringen, meinte er wohl. Es fielen noch mehr der Worte, genauso passende. Dann ging er wieder.

Mittwoch, 14. September 1988 - Freitag, 16. September 1988

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