Die Hoschköppe / 34. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 34. Kapitel

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Freitag, 16. September 1988


Nach Feierabend wurde ich von einem Kollegen in dessen Auto von Gehlsdorf bis in die Stadt mitgenommen, wo ich in mehreren einschlägigen Fachgeschäften wegen eines hellgrauen oder wenigstens grauen Reißverschlusses vorstellig wurde. Ohne Erfolg versteht sich. Auf meinen mühsamen Wegen durch die belebte Innenstadt schaute ich auch in die Galerie am Boulevard hinein. Roland Beier: Neubrandenburg-Objekte, Collagen, Radierungen, Plakate, Bücher und Karten. Noch bis zum 22. September. Musste man einfach gesehen haben! In Bahnhofsnähe erwarb ich Fahrscheine für den öffentlichen Nahverkehr. Es waren auffällig viele Fußballfans unterwegs. Einer von denen, der ein Sicherheitsrisiko darzustellen schien, weil laut grölend, wurde ruck, zuck auf einen bereitstehenden grünen Lkw bugsiert.
Ich war kaum zu Hause, da klingelte mich meine liebe Nachbarin heraus, um die Grüße von Klaus Z. auszurichten. Sie sei auch gerade aus der Stadt gekommen, erzählte sie, und sei ihm dort in die Arme gelaufen. Z. werde am Montag in der Tessiner Zuckerfabrik anfangen, habe der gesagt. Auch dort wohnen. In einem Wohnheim. Also nicht in der Fabrik, dachte ich. Na, dann werde er wohl ganz versumpfen, befürchtete ich. Z. war seit Längerem geschieden und eigentlich ein durch und durch unglücklicher Mensch. Seine Vorliebe für kleine Jungs hatte ihn schon bis vor die Schranke des Gerichts gebracht. Ich habe noch immer vor Augen, wie Z. damals zu mir gekommen war, Rotz und Wasser heulend, auf meiner guten Couch sitzend. Ihr Aberglaube hatte die Eltern eines kleinen Jungen, dem eigentlich gar nichts passiert war, derart entrüstet, dass sie glaubten, mittels des Gerichts Klaus zur Strecke bringen zu müssen.
Charlotte erzählte weiter, dass sie sich für das Wochenende einen Maler besorgt hätte, der ihr das Fenster und den Korridor streichen solle. Den Rahmen der Wohnungstür werde sie dann auch machen lassen, und zwar so wie meinen, damit es wieder einheitlich aussehe. Eigentlich hatte die AWG versprochen, unser Treppenhaus renovieren zu lassen. Die hatte aber elf Jahre lang nichts machen lassen, warum sollte sie ausgerechnet in diesem Herbst damit anfangen.
Nachdem sich Charlotte dies und noch so manches andere von der Seele gesprochen hatte, was runter wollte, bettete ich meine Stubentür um und strich ihre Rückseite. Weil ich die Tür stets offen lasse, heißt die Seite, die zur Wand zeigt, Rückseite. Anschließend ging ich zu Jochen. Es wurde ein trister Freitagsfernsehabend. Wir haben so gut wie überhaupt nicht miteinander gesprochen. Ich mochte nicht.


Donnerstag, 15. September 1988 - Sonnabend, 17. September 1988

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