Die Hoschköppe / 119. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 119. Kapitel

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Donnerstag, 16. März 1989


Ich berichtete Jochen davon, dass der Hund von Klaus gestorben sei und dass Klaus Tränen in den Augen standen, als er es mir erzählte. Wie der Hund ihn angesehen habe, hatte Klaus gemeint. Hunde könnten ja so traurig und hilfsbedürftig kucken. Der Taxifahrer habe dann noch Schwierigkeiten gemacht, weil er den Hund nicht in die Tierklinik fahren wollte. Klaus habe dann in der Klinik neben dem Tisch gestanden, auf den sie seinen Hund gelegt hatten, und bis zuletzt den Kopf mit den langen braunen Zottelhaaren in seinen Händen gehalten, bis der dann eingeschlafen sei.
„Es war komisch“, hatte Klaus gesagt, „von dem Augenblick an, wo er tot war, war es nicht mehr mein Hund.“
Es hätte nicht viel gefehlt und auch über Jochens Wangen wären die Tränen gekullert. Er ist einfach zu weich. „Dann ist er ja jetzt ganz alleine“, sagte er. „Erst die Sache mit Bernd … Und nun das noch!“
Ich hatte Klaus gefragt, ob er jemanden kenne oder gekannt habe, der Dieter N. heiße. Er kannte niemanden mit diesem Namen. Ich erzählte ihm von Dieter. Um ihn aufzuheitern, stopfte ich eine andere, noch traurigere Geschichte in ihn hinein. Klaus nannte mir den Namen des ersten AIDS-Toten in Rostock. Den kannte ich nun wieder nicht und habe ihn auch bald vergessen. Klaus habe gehört, dass es inzwischen einen zweiten Toten geben solle. Aber so hatte Dieter nicht ausgesehen.
Auch über Thomas hatte ich mit Klaus gesprochen. Ich hatte versucht, ihm dieses blöde Gefühl zu beschreiben, das wie eine Glaswand sei, die zwischen mir und Thomas stehe, und diese Zwiespältigkeit, die mich einerseits dazu trieb, Thomas aus dem Wege zu gehen, weil ich ja doch irgendwie wütend auf ihn bin, und die gleichzeitig mein unstillbares Verlangen stärke, mit ihm zusammen sein zu wollen.
Heute Morgen war ich gerade dabei, meine Wohnungstür abzuschließen, als Jochen die Treppe hoch geschnauft kam, um mir den vergessenen Brötchenbeutel zu bringen, denn ich sollte in Gehlsdorf zum Bäcker gehen. Er musste sich ganz schön beeilt haben, denn er war ganz außer Atem. In der Nacht um eins sei es ihm eingefallen. Wir gingen dann gemeinsam zur S-Bahn.
„Kuck mal, da geht Raymond!“, sagte ich, als wir uns der Ampelkreuzung an der Stadtautobahn näherten. Raymond befand sich auch auf dem Weg zur S-Bahn und wartete nun auf Grün. Er hatte zwar in unsere Richtung gesehen, uns aber anscheinend nicht bemerkt. Von nun an schaute er nur noch zur anderen Seite. Er hatte seinen langen schwarzen Mantel an und trug eine kleine, ebenso schwarze Ledertasche unter dem Arm. Wir standen einen Augenblick neben ihm, trauten uns aber nicht, ihn anzusprechen. Seitdem er von mir die Ringe eingeheimst hatte, hat er sich noch nicht wieder bei uns sehen lassen. Na, auch egal!
von mir die Ringe eingeheimst hatte, hat er sich noch nicht wieder bei uns sehen lassen. Na, auch egal!



Mittwoch, 15. März 1989 - Montag, 20. März 1989

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