Die Hoschköppe / 87. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 87. Kapitel

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Donnerstag, 24. November 1988


Weil morgen der dritte Teil von Cooks Reisen gesendet wird, hatte ich mir eigentlich vorgenommen, bereits heute Abend in die Sauna zu gehen. Verschob die Sache aber auf Sonnabendnachmittag, weil es nicht den Anschein erwecken sollte, dass ich vor Thomas davonlaufe. Er hatte sein Versprechen, zu kommen, tatsächlich eingehalten und war circa anderthalb Stunden geblieben, zu deren Beginn er folgende Frage in den Raum stellte: „Hast du was?“ Er saß in seinem Sessel am Fenster, Jochen stand quer über den Tisch gebeugt und ich war gerade hinter dem Küchenvorhang hervorgekommen und schaute desinteressiert auf den Wandteppich über der Couch.
Da Jochen auf die Frage nicht reagierte, sah ich ihn an und fragte: „Meinst du mich?“
„Na, mit wem rede ich denn!“
„Was weiß ich?“, fragte ich.
„Wen habe ich denn angesehen?“ Thomas wurde ungeduldig.
„Weiß ich doch nicht, ich hab nicht darauf geachtet.“
„Dann vergiss es!“, meinte Thomas leicht gereizt. Er schaute mir tief in die Augen und stellte haarscharf fest: „Ach, du bist doof!“
Ich setzte mich in den Sessel ihm gegenüber und sagte dann mit Bestimmtheit: „Außer, dass ich doof bin, habe ich nichts weiter.“
„Du bist doof“, wiederholte Thomas. Aber kaum, dass es ihm rausgerutscht war, schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn und lachte.
Wir hatten es beide nicht so ernst gemeint.
Als Thomas später gegangen war, sagte Jochen: „Er kommt wieder.“
„Wann?“
„Morgen.“
„Hat er das gesagt?“, fragte ich.
„Ja. Er fragt mich laufend, was du hast. … Er kommt doch nur deinetwegen hierher.“
„Ach, das kleine Arschloch, dann könnte er auch zu mir kommen.“
„Aber er weiß doch, dass er dich nur hier antrifft“, meinte Jochen.
Er weiß auch, dass er mich zu Hause antreffen würde, dachte ich. Ich sah mich von Thomas enttäuscht, denn ich wartete noch immer auf eine Reaktion auf meinen Brief. Nicht die, die gekommen war, sondern eine andere. Ein Gespräch oder wieder ein Brief von ihm, in dem stehen würde, dass alles nicht stimmt, was ich aufgezählt hatte. Es kam aber von seiner Seite nichts! Und da fragt er noch, was ich habe! Hab ich denn mit allem oder zumindest teilweise Recht? Dann muss ich mich tatsächlich damit abfinden, dass alles aus und vorbei ist, dann darf ich wirklich nicht mehr an ihn denken? Aber wie soll das gehen? Am Tage kann ich versuchen, mich durch irgendwelche anderen Dinge abzulenken. Aber wie nachts? Wie verbanne ich ihn aus meinen Träumen, wenn ihn eine magische Kraft beständig anzieht? Wenn Thomas bei uns ist, gleicht er zwar noch immer dem magnetischen Pol, der mich unaufhaltsam an sich reißen möchte, aber mich auch gleichzeitig abstößt, sodass es mich drängt, davonzulaufen. Die winzigen Augenblicke, in denen wir uns beim Begrüßen oder Verabschieden die Hand drücken, die nicht bis in alle Ewigkeit ausgedehnt werden können, reichen mir nicht. Aber diese waren mir nun die einzigen Berührungspunkte geblieben. Ich begehre aber mehr, viel mehr. Ich will ihn. Mit Haut und Haar. Auffressen! Ich wage es kaum noch, ihn mit meinen Blicken zu umfangen. Damit zu durchdringen. Ich spreche nur noch wenig zu Thomas, der kaum noch zu mir. Sein bevorzugter Gesprächspartner ist Jochen. Ihren Gesprächen habe ich heute entnommen, dass Thomas am letzten Wochenende bei seiner Oma war, denn er hatte viel davon zu erzählen. Als er auf den Kuchen seiner Oma zu sprechen gekommen war, fragte er Jochen, ob er auch noch immer welchen backe. Erst am Wochenende hätte er wieder gebacken, bestätigte der, habe aber den Kuchen alleine aufessen müssen. Ob ich denn nicht da gewesen sei, wollte Thomas wissen. Jochen hatte dies verneint.
„Dann hat er wohl Besuch gehabt?!“, sagte Thomas und schmunzelte. Vielleicht dachte er an einen ganz bestimmten.
Jochen hatte auch gleich eine belustigte Miene aufgesetzt und scherzte: „Der eine erzählt mir, er fährt zu seiner Oma, und der andere, er fährt zu seiner Schwester. Das ist ja ein starkes Stück.“
Das könnte ich mir sehr gut vorstellen. Die Idee gefällt mir.


Mittwoch, 23. November 1988 - Freitag, 25. November 1988

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