Die Hoschköppe / 69. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 69. Kapitel

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Donnerstag, 27. Oktober 1988


Das Außenthermometer am Fenster zeigte heute Morgen um halb sechs nur null Grad an, was für Ende Oktober wirklich nichts Ungewöhnliches ist. Vor dieser eisigen Temperatur galt es aber, den empfindlichen Inhalt meines Kopfes zu schützen. Zu diesem Zweck rief ich reumütig Mütze und Schal aus der monatelangen Verbannung zurück. Da es aber im Laufe des Tages doch wieder sehr mild wurde, war ich abends versucht, sie in den Schrank zurückzuwerfen.
Weil ich so früh wie möglich nach Warnemünde fahren wollte, ging ich von der Feierabendbahn kommend gleich in die Kaufhalle und anschließend zu Jochen, der kurz nach mir nach Hause kam. Dass er nun doch pünktlich kommen werde, hatte er mir bereits mittags telefonisch mitgeteilt. Er war heute wesentlich aufgelockerter als am Vortage. Jochen kam direkt von der Verabschiedung eines Kollegen, wo er auch einiges getrunken hatte, was ihn jetzt sogar recht ausgelassen und stellenweise lustig werden ließ. In plauderhaftem Ton erzählte er, dass er mit seinem Hauptabteilungsleiter über die Probleme gesprochen habe, die ihm seine Gruppenleiter machen, speziell einer, der darüber sauer ist, dass nicht ihm der Abteilungsleiterposten angeboten worden war und der ihn, Jochen, jetzt überall schlechtzumachen versuche; dass ihm die Sache über den Kopf zu wachsen drohe; dass ihm schon so wenig Zeit für seine eigentliche Arbeit bleibe und das er nun auch noch zweimal in der Woche wegen des blöden GAB-Befähigungsnachweises abends zu einem Lehrgang müsse. Sein Chef habe sich erstaunt darüber gezeigt, dass er diesen Nachweis noch nicht besitze und meinte, dass sich dies auch ganz anders regeln lasse und rief sofort seinen Kumpel in der Sicherheitsinspektion an. Das sei morgens gewesen, sagte Jochen. Mittags habe ihn sein Chef zu sich bestellt, der, als Jochen bei ihm eintraf, mit seinem Parteigänger aus der Sicherheitsinspektion bei einer Tasse Kaffee zusammensaß. Der Befähigungsnachweis lag vor ihnen auf dem Tisch und bedurfte lediglich der Eintragung ein paar persönlicher Daten, um feierlich überreicht werden zu können.
Soviel anders werde die Sache in der Betriebspoliklinik auch nicht gehandhabt, musste ich zugeben. Allerdings hatten sich bei uns im Haus die sogenannten Leiter einen von mir gehaltenen dreiviertelstündigen Vortrag über sich ergehen lassen müssen. Das sei dann aber auch das höchste der Gefühle, was man einem promovierten Hochschulkader im Gesundheitswesen zumuten dürfe, das müsse Jochen doch eingestehen.
Auf meinem Sauna-Kassenbon war die Uhrzeit mit 18.37 ausgedruckt. Wir, Jochen wollte mich nicht alleine fahren lassen, hatten also eine knappe Stunde auf unseren Einlass warten dürfen. Es hatte also keinen großen Sinn gehabt, so früh wie möglich hinfahren zu wollen. Die Zeit, die wir eher da waren, mussten wir länger warten, und das zwischen all den unsympathischen Leuten hockend, die hier sogar noch bekleidet waren. Es waren meist dieselben griesgrämigen Gesichter, die es schon das Mal davor zu sehen gab und davor auch schon. Natürlich war es uns immer noch angenehmer, die alten fetten Leiber bekleidet zu sehen, als uns nachher zwischen die nackten eingezwängt zu fühlen. Ich hab in meinem Leben schon viel gesehen, mich kann kaum noch etwas erschrecken, aber ich brauche schon sehr viel künstlerische Fantasie dazu, mir einen ästhetischen Genuss daraus zu machen, wenn ich zuschauen muss, wie dampfende Schweißtropfen sich unterhalb eines wulstigen Halses zu kleinen Bächen vereinen und durch die dschungelartige Brustbehaarung kämpfen, um dann plätschernd zu beiden Seiten des vorstoßenden Bierbauches wie Rinnsale in der Wüste im Handtuch zu versickern, in dem dieser Berg sein Fundament hat. Besonders unangenehm ist es, wenn es im Schwitzraum sehr voll ist und die Kerle dicht gedrängt auf den mit rohen Holzrosten belegten Stufen sitzen. Dazwischen gibt es schamhafte Personen, die zu loben sind, weil sie ihre Schenkel, so gut es eben gehen mag, zusammendrücken und so das Wenige unter ihren Schwimmringen rücksichtsvoll verschwinden lassen; aber da gibt es auch immer wieder diese aufdringlichen Typen, doof und distanzlos, die wie Angler mit weit gespreizten Beinen auf dem blanken Rost sitzen und sich verzweifelt wünschen, dass jemand auf ihre Mitte zustürmt und an ihren toten Wurm anbeißt.
Das rote Licht verbreitet eine angenehm dämmrige Atmosphäre, in der ich sonst ganz gemütlich vor mich hindösen oder die Schweißtropfen zählen kann, die von meiner Nasenspitze fallen. Jede Gemütlichkeit hat aber ein Ende, wenn ich kerzengerade und stocksteif dahocken muss, weil zwischen meinen Knien jemand sitzt und ich aus anerzogener Rücksicht darauf bedacht bin, dem nicht meine Tropfen auf den Rücken zu gießen, während ich selber aber nicht darauf vertrauen kann, dass mir mein Hintermann die gleiche Freundlichkeit zuteilwerden lässt. Der schrubbt und bürstet sich, dass er seine wahre Freude daran hat und alle anderen auch noch einen Teil davon abbekommen. Weit erholsamer, und damit der Gesundheit förderlicher, wird ein Saunabesuch erst dann, wenn ein paar junge Burschen auf den Stangen sitzen und die Sauna nicht so voll ist. Dann kann ich mir einen günstigen Platz frei auswählen, um beobachten zu können, wie sich ihr Ding langsam mit Blut füllt und anschwillt, wie also Leben zwischen ihre Schenkel kommt. Wenn sie mir dann voller Unschuld tief in die Augen sehen, als sei ich der Brunnen, in den hinein sie gerade ein kleines Kätzchen geschubst haben, sodass ich wie ein Schokoladenweihnachtsmann dahin schmelze, dann muss ich selber die Schenkel zusammenkneifen und mannhaft den süßen Schmerz ertragen. Wenn mir also so viel Gutes widerfährt, dann kann ich mir hinterher zu Hause vor dem Kamin getrost einen Asbach Uralt spendieren. So ich habe.
Aber das mit den Burschen kommt viel zu selten vor und ich kann mir durchaus vorstellen, dass alle anderen, zumindest ein großer Teil von ihnen, die gleichen Gedanken hat.
Heute trafen wir Andreas R. in der Sauna, der kurze Zeit nach uns aufgetaucht war. Ich musste einen Tadel einstecken, weil ich unsere Verabredung versäumt hatte. Ich bat ihn um Entschuldigung, denn ich hatte total vergessen, dass Jochen und ich für den Donnerstag Theaterkarten hatten. Viel mehr sprachen wir nicht miteinander, denn Andreas war mit einem fremden Mann gekommen.


Mittwoch, 26. Oktober 1988 - Sonntag, 30. Oktober 1988

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