Die Hoschköppe / 22. Kapitel
Mittwoch, 31. August 1988
Als unsre Freundschaft (zu dritt) noch im Entwicklungsstadium
war, dachte ich nicht, daß Du mir so gefallen könntest.
Sagen wir das Blatt hat sich gewendet, aber zu wessen Gunsten.
Profitieren wird Joschi sicher nicht daraus, wenn ich mich
mehr und mehr zu Dir hingezogen fühle. Er hat es gemerkt,
und das macht uns die Sache nicht leichter. Leichter ist dann
aber auch bestimmt nicht das Zusammenleben mit Joschi –
Deinerseits. Du sagst, ich hätte wieder „Leben in die Bude“
gebracht, ja das hab ich wohl - aber jetzt lebt Ihr gefährlich,
im Gegensatz zu früher. Einerseits möchte ich Euch und jetzt
vor allem nicht Dich verlieren und andererseits will ich auch
Joschi nicht verletzen und vor den Kopf stoßen. Diese Nacht
werde ich wohl nie vergessen, auch wenn ich einmal nicht
mehr mit Euch zusammen sein sollte. Und den Tag, ob Du
es willst oder nicht, wird es einmal geben. Vielleicht hatte
ich mit den Karten wirklich schon die Zukunft bestimmt.
War es wirklich nur Zufall? Ich überlege schon seit Stunden,
ob wir nicht wirklich einen Schlußpunkt setzen sollten.
Es wäre auf jeden Fall eine Lösung, Joschi nicht weiter betrügen
und quälen zu müssen. Ob es für Dich auch die Lösung wäre,
mußt Du mit Dir selbst ausmachen. Ich will dir ehrlich sagen,
daß Du mir damit sehr weh tuhen würdest. Du hast mir
ins Ohr geflüstert, Du würdest mich lieben, wem hast Du
das denn nicht schon alles erzählt. Ich hatte auch Angst,
Dir zu antworten - mit den gleichen Worten. Aber es reicht ja
wohl, daß ich es gedacht habe. Zu rückkommend auf den
Punkt, dem dieser Brief zu Grunde liegt.
Wollen wir uns nicht noch mehr reinreiten, als wir es ohnehin
schon taten. Es würde mich doch auch quälen, dem einen zu
sagen, daß ich Ihn mag und den anderen liebe ich wirklich.
Daß es nicht leicht für Euch ist, verstehe ich wohl - sogar gut, aber
wer fragt mich, wie ich mich fühle. Ich muß es Euch jetzt sagen,
ich hatte an diesem Abend einen Nervenzusammenbruch,
ganz einfach, weil mich das alles total mitgenommen hat.
Dabei muß man nicht rumtoben oder ausflippen, es reicht
oftmals schon, das Gleichgewicht zu verlieren und schwarz zu
sehen. Und dann kommt auch noch die unheimliche
Körperhitze (Temperatur) dazu. Deswegen gestern die kleine Dusche
unterm Wasserhahn mit freien Oberkörper. Aber darauf wollte
ich jetzt nicht so zu sprechen kommen. Wichtiger ist jetzt, was
Du und Joschi unternehmen wollt, um weitere Ausbrüche
bei Ihm und auch bei Dir zu vermeiden.
das Recht, es Dir zu sagen, aber ich
tue es jetzt doch - ich brauche
Dich und das nicht allein,
dazu kommt auch noch, daß
ich Dich liebe.
Thomas
Ein legendäres Instrument, mit dem Wissen und Weisheit 'eingetrichtert' werden können. Der Nürnberger Erfindergeist, 'Nürnberger Witz' genannt, war seinerzeit so weitbekannt, daß man ihm auch die Erfindung dieses Wunderinstrumentes zu traute. Indes mußten später die Nürnberger mit ihrem Trichter auch Spott einstecken. So von dem Münchner Witzblatt 'Flie-gende Blätter' (1844): 'Auch die beriemten Nürnberger Trichter sind hier von einem Schuhmacher und Zeitungsredakteur namens Hans Sachse erfunden, doch kommen diese gar nicht ins Ausland, weil nicht einmal für den Stadtbedarf genug kennen verfertigt werden, woran man aber im allgemeinen eigentlich immer nur wenig bemerkt.'
Die Kulturhistoriker allerdings wissen es anders: Der Nürnberger Gerichts- und Ratsherr Georg Philipp von Harnsdörffer (1607 - 1658), der Begründer des Sprach- und Literaturvereins 'Pegnesischer Blumenorden' ist der Verfasser des berühmten Lehrbuches 'Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst ohne Behuf der lateinischen Sprache in VI Stunden einzugießen'. Das Buch erschien 1648 in Nürnberg, jedoch ohne den Namen des Autors. Daraus machte der Volksmund den 'Nürnberger Trichter'.“
Am Türdrücker hing eine Plastetüte, auf der WOOLWORTH zum Schulanfang '85 diverses Schreibzeug und Hefte zum alsbaldigen Kauf anbot. Drinnen lagen bunte Aufkleber, die ich wohl in meinen Collagen verarbeiten sollte. Ich hatte Thomas um dafür geeignetes Material gebeten. In der Stube schüttete ich alles auf den Tisch. Zwei Aufkleber warben für TANGO ARGENTINA, einer für TURKEY, für BENIDORM AUS TAUSEND GRUNDEN, auf einem weiteren bietet Niedersachsen seine Badeküste an, zwei Schleswig-Holsteiner Fische beteuern HERZ IST TRUMPF, dann wird behauptet, dass DAS RUHRGEBIET. Ein starkes Stück Deutschland. und Berlin - Kulturstadt Europas 1988 sei. Auch von der Hamburg-Münchener Ersatzkasse war ein runder Sticker dabei, der die Karikatur eines Mannes mit übertrieben großer Nase darstellt und als Aufschrift DROGEN ? ICH GLAUB ICH SPINNE ! trägt. Des Weiteren einer vom 3-Sterne-Hotel NILO Paguera - Mallorca und einer von CHARITOS TRAVEL, das Top Service For Travellers in Aussicht stellt. Und zu alledem hatte Thomas noch drei Banknoten der Deutschen Bundesbank (10, 50 und 100 DM) gelegt. Noch nie hatte ich Westgeld in meinen Fingern gehabt und nun gleich so viel. Nein, das stimmt nicht. Als ich noch in Prenzlau wohnte, einer furchtbaren Stadt in der Uckermark, hatte mir eine Kollegin, eine ledige Pastorentochter mit zwei Kindern, 15 DM mit der Bitte gegeben, ich solle ihr aus einem Leipziger Intershop ein ganz bestimmtes Riechzeug mitbringen. Leider sind diese Scheine, die mir Thomas so großzügig hinterlassen hatte, viel zu klein, als dass sie jemand in Zahlung genommen hätte.
viel Sympathie empfunden habe. Vielleicht war
es zwischenzeitlich sogar mehr als nur das.
Was sich allerdings in den letzten 72 Stunden er-
eignet hat, läßt mich an einer echten Freund-
schaft zwischen uns zweifeln. Ich habe immer
mit dem (meinem) Gefühl zu kämpfen gehabt,
Dir nicht wehzutun, Dich zu verstehen und in
Deinen Augen nicht mißverstanden zu werden.
Ich wußte, daß Dich Aufdringlichkeit anekelt. Ich
war mich meiner mißlichen Lage immer be-
wußt.
Jetzt allerdings haben sich in mir nur Haßge-
fühle aufgebaut. Ich kann kaum noch klare Ge-
danken fassen, habe Mühe sie auszusprechen und
bin den Tränen näher als Du es glauben wirst.
Für mich kann es in dieser Situation nur eine
Alternative geben. Ich werde es nicht zulassen,
daß innerhalb weniger Tage 8 Jahre !! meines
Lebens durch Dich zerstört werden. Ich werde
nicht um unsere Freundschaft, aber um Friedel
kämpfen. Er hat einiges an Vertrauen, was ich ihm
schenkte und was wir uns in langen Jahren des
Miteinanderlebens erworben haben, innerhalb
weniger Stunden aufs Spiel gesetzt. Er hat mich
Deinetwegen belogen, und Ihr habt ein grausames
Spiel mit mir getrieben. Ich wünsche es keinem!
Der Keil, den Ihr beide angesetzt habt, hat
mein Herz verletzt. Beide habt Ihr es zu zer-
stören versucht. Doch die Wunde wird langsam
zuheilen.
Dienstag, 23. August
Während der Arbeit hatte Jochen am Brief weiter geschrieben:
Den Brief, den ich vor mehr als 12 Stunden ange-
fangen habe zu schreiben, werde ich fortsetzen.
Dabei hat sich gestern Abend in unserem Gespräch,
oder besser gesagt im „Streit“, gezeigt, daß ich viel zu
gefühlsbetont reagiere und Dir und Fr. Vorwürfe
mache, die nicht immer den Tatsachen entsprechen.
Ich hoffe aber, daß Du mich verstehen kannst,
wenn ich so impulsiv reagiere und mir verzeihst.
Eigentlich bereue ich Minuten später, was ich Dir
zuvor an den Kopf geknallt habe. Hier geht es aber
um mich und meine Existenz.
Du hast mir gestern Abend gesagt, daß ich in
meinen Ansichten nur an mich und meine Freund-
schaft zu Fr. denke. Das ist zwar richtig und vorder-
gründig liegt mir an dem Zusammensein mit Fr.
sehr viel. Aber dennoch bist Du in den letzten Wochen
ein Teil von mir geworden. Ich müßte lügen, wenn
ich behaupte, daß Du mir völlig gleichgültig bist.
Ich mag Dich sogar sehr gern.
Heute Morgen habe ich vergeblich am Fenster gestanden
und gewartet. Ist das ein Zeichen dafür, daß Du mich
nicht mehr magst! Nachdem, was ich Dir alles vorge-
worfen habe, wäre es jedenfalls kein Wunder. Ich habe
es mir selbst zuzuschreiben.
8.10 Schluß, es ist einfach zu viel Hektik hier.
11.35Uhr
Scheiß Arbeit, nichts kann man vernünftig
zu Ende (den Brief! nicht das, „Buch“ !) bringen. Der
Dichter läuft andauernd in seinem Zimmer auf und ab.
Ich wünsche mir, daß Du heute Abend wieder vor meiner
Tür stehst. Ob es eintrifft, werde ich sehen. Ich glaube
jedenfalls daran. Und ich glaube auch, daß wir uns
mehr zu sagen haben. Auch ich muß lernen, meine
Eifersucht in Grenzen zu halten. Es ist nicht einfach.
Du kannst mir dabei helfen!
Im Grunde genommen hast Du es schon. Als Du
mir gestern Abend sagtest, Du müßtest um 21.00 Uhr
zu Hause sein, glaubte ich Dir wirklich nicht.
Ich habe ein Stück Vertrauen zu Dir zurückgewonnen,
als kurz nach 21.00 Uhr das kleine „Lichtlein“
flackerte. Galt es mir oder uns oder wem?
Wenn unsere Freundschaft auf Dauer existieren soll,
müßt Ihr beide mir helfen, muß ich zu Euch mehr
Vertrauen gewinnen, darf ich von Euch immer die
Wahrheit erwarten. Oftmals ist es bitter, die Wahr-
heit zu erfahren, doch leben läßt es sich besser
damit als mit einer Lüge. Und Offenheit auch
in dieser Frage zahlt sich für alle Partner aus.
Fr. wird Dir bestätigen, daß ich ihm eher verziehen
habe, wenn mir von Anfang an die Wahrheit
über Kontakte, die er zu anderen hatte, erzählt
wurde. Wenn ich hinterher durch andere oder
durch Gespräche erfahren habe, daß er Kontakt zu anderen
„Männern“ hatte, kam es schnell zu Eifersuchts-
szenen, wie Du sie miterleben konntest.
Schluß:
Um dieses gegenseitige Mißtrauen abzubauen,
bitte ich Dich um Geduld und Rücksicht.
Laß uns eine echte Freundschaft herstellen.
Gruß Jochen
P.S. Ich warte !!!
Bei dreien stört einer
mein Urlaub in der Hölle!
nicht darf.
ICH WERDE MICH HEUTE DEINER PLATTEN ANNEHMEN.
GESTATTEST DU MIR DAS.
ODER GIBT ES IRGENDWELCHE EINWENDE?
WENN ICH KÖNNTE,WÜRDE ICH MIT EUCH---ABER LASSEN WIR DAS.
DA HIER ABER KEIN BEDARF BESTEHT,WECHSELN WIR DAS THEMA.
IHR SEID BLÖD UND BÖSE.
HOSCHKÖPPE BLEIBEN HOSCHKÖPPE.
ICH GLAUBE AUS DER GRUBE KOMM ICH ALLEIN RAUS.
DAS SEIL,DAS IHR MIR GERREICHT HÄTTET,WÄRE HÖCHSTWARSCHEINLICH
GERISSEN.
OBWOHL JA NOCH GARNICHT RAUS IST,OB IHR MIR ÄBERHAUPT EIN SEIL
HERRUNTERGESCHMISSEN HÄTTET.
Diesen Brief bitte vor oder nach dem Lesen vernichten!
Ich hatte Dir einen Brief angekündigt, jetzt will ich ihn schreiben, wenn ich auch eigentlich gar keine Zeit dazu habe, denn ich fürchte, er wird einen großen Teil meiner Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Vieles von dem, was ich mir vorgenommen hatte, Dir zu schreiben, habe ich Dir inzwischen schon gesagt. Verzeih mir also bitte die Wiederholungen. Es wird aber vielleicht doch einiges darunter sein, was ich, Dir gegenübersitzend, nicht so ohne Weiteres herausbrächte. Viele Worte, die mir im Halse stecken, schaffen es nicht bis über die Schwelle des Mundes. Mein Gesicht verzieht sich dann zu einem Grinsen, das womöglich auch noch blöd (und böse) aussieht, aber nicht böse gemeint ist. Schweigen, heißt es, sei auch immer eine Antwort. Bei mir ist es immer Schwäche. Ich bin dann einer Antwort nicht fähig. Ich bin schwach, das hatte ich Dir schon gesagt. Wenn nicht zugleich für „edel und gut“, so hielt ich mich bisher doch zumindest für gut. Aber wahrscheinlich bin ich nicht einmal das, denn zwei Seelen wohnen in meiner Brust.
Ohne mit einer stürmischen Liebe zu beginnen, sind Jochen und ich in die über acht Jahre hineingewachsen, die wir jetzt bereits zusammen sind. Auch dies hatte ich Dir schon gesagt. Daß es so war bzw. so ist, wird Dir Jochen sicher bestätigen, wenn Du ihn danach fragst. Wenn ich das so sage, tue ich ihm sicher nicht weh damit. Es ist so. Ich suchte einen festen Freund und hatte ihn in Jochen gefunden, ohne es anfangs zu ahnen. Immer hatte ich mir kleine Fluchtmöglichkeiten offengelassen, um vielleicht eines Tages ausbrechen zu können. Ich hatte mich öfter mal heimlich vom Grundstück weggestohlen, bin aber nie sehr weit über die Gartenmauer hinausgekommen. Jochen hatte schon mehrmals den Versuch gemacht, mit mir in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Immer habe ich mich dagegen gesträubt, aus Angst, meine Freiheit, die ich ja eigentlich gar nicht mehr hatte, zu verlieren und um mich nicht zu sehr an ihn zu binden. Jetzt, da vielleicht die Chance gewesen wäre, das Grundstück zu verlassen, nicht nur runter bis zum See, sondern bis hin zum Meer und für immer, da bringe ich es nicht einmal fertig, von der Mauer zu springen, auf der ich schon gestanden habe. Hinter mir würde das Haus in Schutt und Asche fallen, in dem ich solange gut behütet gelebt habe. Und was hätte mich draußen am Meer, zu dessen stürmischen Ufern es mich noch immer hinzieht, erwartet? Ein festes Haus, in das ich einkehre und geborgen wäre oder ein flüchtiges Schilfdach, unter welches der Sturm den Regen treibt?
Ich bin eitel genug einzugestehen, daß mich Deine Liebe zu mir, wenn es wirklich wahr ist, was Du mir in Deinem Brief geschrieben hast, glücklich macht und es entspräche nicht der Wahrheit meiner Gefühle, wollte ich nicht meinerseits Liebe zu Dir eingestehen. Jochen weiß es ganz genau, was ich für Dich empfinde. Gerade das macht ja die Sache zum Problem. Ruhiger würde ich leben, wir drei, wenn ich nichts als einfache freundschaftliche Gefühle für Dich empfinden würde. Hätte sich Deine Liebe Jochen zum Gegenstand auserkoren, wie es anfangs ja durchaus den Anschein hatte, dann wäre ich es, der davon innerlich bis ins Mark getroffen und zerfurcht und dem dann aus allen Poren statt Schweiß Blut tropfen würde. Ich hätte Euch dann wieder allein gelassen und wäre wohl eines Tages irgendwo weit draußen darüber hinweggekommen.
Daß es eines Tages krachen wird, daß es krachen muß, habe ich von Anfang an erwartet. Nicht aber, daß mich die Splitter so tief treffen würden. Du hast Dir sicher auch nicht träumen lassen, daß alles einmal ausgerechnet so kommen würde.
Der Abend, an dem uns beinahe das Dach überm Kopf zusammengebrochen wäre, hat mir viele Schmerzen bereitet, hat uns wohl allen viele Schmerzen zugefügt. Das Messer war bereits angesetzt, unsere Schicksalsfäden zu durchtrennen. Die Nacht war grausam. Mein Herz wollte Dich haben, aber es wußte, daß es Dich nie ganz wird bekommen können. Ich habe am Fenster gestanden und wie Leander auf das flackernde Licht am anderen Ufer des Hellesponts gesehen. Leander war in so mancher Nacht hinübergeschwommen zu seiner Hero, das Licht als Wegweiser in der Dunkelheit, bevor er inmitten der Fluten versank, als das Licht verlosch. Als bei Dir das Licht ausging, war auch mir, als müsse ich in eine nasse dunkle Tiefe versinken. Ich hatte gerade erst das erste Mal meinen Fuß ins Wasser gesetzt. Jochen lag im Bett und zerriß mit seinem Schluchzen die Stille. Auch ich legte mich hin, zog mir die Decke über den Kopf, damit er mich nicht hört.
Den Weg zur Arbeit am nächsten Morgen wäre ich am liebsten mit geschlossenen Augen gegangen aus Angst, Tränen zu verlieren. Ich wünschte, die Fähre würde mit mir untergehen. Ich hätte mich nicht dagegen gewehrt. Den ganzen Tag konnte ich keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Habe mich in mein Büro zurückgezogen und jeden Herzschlag doppelt gefühlt, wenn ich an Dich dachte. Dann wieder bei Jochen, hatte ich ihm den einen Abend abgerungen, wenigstens einen Abend, an dem ich mit Dir allein sein wollte. Es war Jochen sehr schwergefallen, mir diesen zu gewähren. Und Du? Wozu der Abend mit mir allein, damit ich Dich betatschen könne? Mit diesem Wort „betatschen“ hast Du mir einen Schlag versetzt, von dem ich mich wohl sobald nicht werde erholen können. Das Wort allein hat mehr verwundet, als der Abend zuvor. Als wolltest Du mir damit das Herz aus der Brust reißen.
Ich habe die Tränen trocknen lassen. Vielleicht hast Du die Spuren noch gesehen, als Du dann doch noch nachkamst. Du standest noch vor der Tür, als ich Dich danach fragte, wer Du bist. Du hast nicht geantwortet. Ich wollte wissen, ob Du der Thomas aus Deinem Brief oder der andere bist, vor dem ich gerade weggelaufen war. Ich hatte diesen Abend gewollt, selbst auf die Gefahr hin, daß der Schmerz danach noch größer geworden wäre. Spielst Du mit mir, machst Du mir was vor? Meine Gefühle sind ehrlich, darum habe ich auch so viele Schmerzen. Sind Gefühle nur dazu da, um Schmerzen zu bereiten? Machen mich meine Gefühle noch dazu blind?
Jochen sagte mal, Du hättest Angst vor mir. Das habe ich nie gewollt. Es ist eher umgekehrt. Wenn ich sage, da sind meine Grenzen, dann ist das in diesem Sinne zu verstehen. Du verstehst mich doch, oder? Schließlich bist Du es doch, der immer dann abrückt von mir, wenn zu befürchten steht, daß ich meine Grenzen verlassen könnte.
Ich sitze hier in meinem Bett, und wie schon so oft
gab es auch heute Tränen. Das Taschentuch ist übrigens
seid Wochen mein ständiger Begleiter. Oftmals warst
Du Grund dieser Tränen. Wenn ich jetzt über alles
nachdenke, muß ich mich wundern, daß Ihr es
überhaupt so lange mit mir ausgehalten habt.
Auch wenn Ihr es nicht zugeben wolltet, müßt
Ihr Euch eingestehen, daß ich eine Last für Euch
war. Liebe für mich zu empfinden, war sicher
nur ein zeitweiliges und somit ein abwechslungs-
reiches Gefühl. Ich behaupte sogar, es habe nur
eine untergeordnete Rolle gespielt. Fehler sind
zum machen da, und das habe ich dann
auch getan. Ihr seid mir so ans Herz gewachsen
daß ich kaum glauben kann, alles aufgeben
zu müssen. Du setzt einen Frosch in eine Wüste.
Du hast mich zutiefst verletzt, auch mit der
unerhörten Behauptung, einen schlechten
Charakter zu haben. Jochen, ich liebe Dich und
wenn das gelogen ist, will ich auf der Stelle
sterben. Dir gegenüber konnte ich meine Gefühle
nicht immer so offenbaren. Müßt ich
nochmal entscheiden, täte ich das gleiche,
nur um Dich bei mir zu haben. Du hast mir
zwar immer das Gefühl gegeben, gebraucht zu
werden, aber dieses Gefühl reichte nie für An-
näherungsversuche meinerseits. Du weißt
vielleicht nicht, daß ich mit Kirsten schon 2 Jahre
zusammen bin, und Du weißt wohl auch noch
nicht, daß ich schon 5 Wochen nicht mehr mit
Ihr geschlafen habe. Weißt Du, oder kannst Du
Dir auch nur im Geringsten vorstellen, was das für
mich heißt. Ich empfinde nichts mehr für Sie,
und das hat sie stutzig gemacht. In mir selbst
habe ich schon Schluß gemacht, ich muß es Ihr
nur noch sagen. Körperlich und selisch habe
ich mich auf Dich eingestellt. Meine Gefühle
für Dich werden sich nie ändern, auch wenn Du
jetzt wirklich das Buch vorhattest zu verbrennen.
Mit dem Buch verbrennst Du einen historischen
Moment meiner Existenz. Du entscheidest für
Dich so wie Du es für richtig hältst, heißt das
denn auch, daß Du für mich entscheiden darfst.
Friedel liebe ich genauso, wie früher.
Was ich an diesem Abend sagte, war auch Dir
gegenüber etwas ungerecht und überhastet
gesagt.
Scheiterhaufen entschlossen, muß ich
Dir zu Deinem und zu dem Glück
Friedels sagen, daß ich noch diese
Woche zur Polizei und zu den mir
zugewiesenen Behörden gehen werde,
um mich für die Ausreise nach
Dänemark 1989 eintragen zu lassen.
und auch meine Adresse wird eine andere sein.
Wenn ich da dann Männer brauche, werde
ich mir sie nehmen. Dort macht man das ganz
anders. Es wird nie auch nur halb so schön
sein, wie die Zeit mit Dir und Friedel war,
doch ich muß dann versuchen zu vergessen.
schon eine Schweinerei, sich selbst aber
dazu ist fast schon Grund dem Tode
entgegenzugehen.
aber das macht die Sache
auch nicht ungeschehen.
Den Versuch, mir das Leben
zu nehmen, habe ich bereits
schon gestartet, vergeblich,
man fand mich nur mit
einer Magenvergiftung zu
Hause. Wenn ich erst-
einmal tot bin, weiß keiner
warum, und es kann auch
keiner mehr herausfinden,
denn der, der den Grund für
den seeligen Tod wußte, lebt nicht mehr.
sage Ihm, ich würde Ihn auch
da oben nicht vergessen, genauso
wenig, wie Dich.
Es kommt mir vor, als wäre mein Herz
zerfetzt und 2 Geier würden daran zehren.
In Euer Galerie darf mein Bild nicht mehr hängen.
Ich danke Euch für
alles, auch für das,
was Ihr nicht gegeben habt.
öde war, für mich war es schön. Denkt doch von mir, was Ihr wollt,
ich kann eh' nichts dagegen tun, allein, daß jetzt keiner einen Wort
laut von sich wirft, zeigt mir schon wieder, daß es für Euch heute
doch nur beschissen gewesen sein kann. Tut mir leid, Euch den Tag
versaut zu haben, mit samt dem Abend.
meine Anwesenheit legen, gebt mir
doch ein Zeichen (Rollo).
Aber ich kann mir ganz gut vorstellen,
daß der eine schlafen und der andre
sich mit seinem Wein austoben will.
Also ist der Sonntag wohl völlig
indiskutabel.
mal nicht an mich zu
denken, das raubt einem
nur die Nerven.
ich würde mich jetzt ausschließlich für Joschi
interessieren, da liegst Du in sofern falsch, weil
Du weißt, was ich von Dir halte und Du weißt
auch, daß ich Dich nicht verlieren will.
Seid wenigen Minuten bist Du von's kalte Wasser
ins heiße gesprungen. Glaubst Du, Du kannst Deinen
Ärger in der Wanne vergessen. So gehst Du vielleicht
mir aber nicht den Problemen aus dem Weg.
Aber es sieht mir auch bald so aus, als wolltest
Du mir aus dem Weg gehen. Auch Deine Reaktion,
Dich einfach umzudrehen und möglichst noch ein-
zuschlafen, zeigt mir, daß Du nicht mehr allzuviel von
mir, und von dem, was ich glaube und brauche, hältst.
Wenn Du Deine Entscheidung getroffen hast - bitte!
Aber dann auch nur für Dich allein, laß mich
meine wählen, und laß mich lieben und brauchen
wen ich will. Zähle Dich dazu oder laß es meinet-
wegen sein. Mir tut es weh, zu sehen, wie Du Dich ab-
wendest und möglichst versuchst, so zu tun, als
würde Dich das absolut nicht berühren. Mich berührt
es um so mehr. Wie gesagt, noch kann ich entscheiden,
wohin ich will und mit wem ich was tuhe. Ich
sitze im selben Boot wie Ihr auch, geht Ihr unter, gehe
ich mit. Und ich gehe gern.
DU MICH (UNS)?
QUÄLEN!
Ich hatte ursprünglich nicht vor, Euch zu quälen!
Ich hatte jetzt aber mit etwas anderem
gerechnet, als mit dieser Frage
Ich: Ich hätte sehr große Ansprüche!
Dir.
da oben doch sofort...!?
Oder?
wohl auch bei
mir nur so, oder
entspricht das der
Realität
dann
auch
gehen und so tun, als
würde mir der Kuchen
schmecken, was nicht
der Fall sein wird!
Auf mich wird ja kein
Anspruch mehr erhoben,
weder von dem,
noch von dem.
meine tiefste Entschuldigung und Erschütterung
über den gestrigen Abend auszusprechen und somit
um Gnade und Verzeihung zu bitten. Da ich
Ihre gerade verübten Intimitäten zu stören versuchte,
glaube ich schwerlich, Ihre „reine“ Wohnung noch-
mals betreten zu können, allein um Erinnerung
und Vorstellung jenen Ereignisses aus dem Gewissen
zu streichen. Bei der Vorstellung des Selbigen überfällt
mich ein Schauer der Eifersucht. Aber dieses scheint
Ihnen, nicht den Versuch wert zu sein, des meinigen
Gefühls zu erwidern. Welch peinliches Gelübte, abgelegt
von einem der liebt und dem immer aufs Neue
klargemacht wird, er würde nicht geliebt werden.
Es ist die blanke Eifersucht, die meine Seele frißt.
Ertrunken im Leid, verbrannt in Bedrängniß und
erstickt in Ausweglosigkeit, soll dies mein Los sein.
Erscheinen meiner Person
am heutigen Nachmittag,
es wird keines Falls dazu
kommen. Ihnen dürfte
bekannt sein, welches mein
Ort des Wohnens ist und
der Platz des Briefkastens.
Man rechnet mit Ihrem
Dasein bis spätestens 15.00
In Liebe, Thomas
Nun mal Klartext, Du Arsch,
entweder, Du bewegst Deinen
Körper in Richtung Pohl, oder
der Kuchen ist gebacken.
Glaube aber ja nicht, daß
Du Wunder von Vieh dann
noch ein Stück abkriegst.
VOTZKOPP!
oder auch eine für mich
eingeplant haben, überleg
Dir doch besser gleich, ob
Du überhaupt kommen
solltest. Es könnte doch
sein, daß ich was mit Dir
vor habe. Aber vielleicht
hast Du ja was besseres
zu tun, als Deine Zeit mit ↓
mir zu verschwenden.
Lieber Friedemann!
Also ich komme nicht umhin, mich bei Dir noch einmal zu entschuldigen für mein nicht erscheinen bei Dir. Lange genug hatte ich es ja geplant gehabt nach … für ein paar Tage zu fahren, aber es ist wie so oft im Leben doch alles anders gekommen. Kurz zuvor hatte ich erfahren,daß Freunde von mir aus München nach Kopenhagen gefahren sind und deshalb habe ich alles auf den Kopf gestellt und habe mich mit ihnen in Kopenhagen getroffen. Trotzdem war ich paar Tage in Schwerin bei meinen Verwandten gewesen. In der Nähe von Schwerin wohnen sie auf einem wunderschönen Bauernhof mit Schweinen und Hühnern.Wunderbar gelegen am See und eine Ruhe dort! Einen Tag sind wir zum Strand nach Warnemünde gefahren, aber es ist dort ja alles so überfüllt von Touristen gewesen und das macht dann auch nicht sehr viel Spaß. Einfach zu wenig Restaurant's und Kaffee's,wo man mal ganz gemütlich genießen kann.Im Prinzip ist doch nichts los und sehr viel wird nicht geboten.Die Urlauber rennen wahllos durch die paar Geschäfte in Warnemünde und das alles ziehmlich hektisch. Am Freitag bin ich dann von Schwerin nach Warnemünde gefahren und durch das lange warten an der Tankstelle vor Warnemünde ist mein Zeitplan etwas durcheinander gekommen. Zu spät bin ich los gefahren,aber die Fähre 16.30 Uhr habe ich noch gut geschafft gehabt. Warst Du am Freitag um 14.30 Uhr am Bahnhof Warnemünde gewesen? Normalerweise halte ich Termine immer ein,aber leider ist es diesmal nicht so gewesen. Gegen 20.00 Uhr war ich dann in Kopenhagen und mein engl.Freund Nigel,der schon seit 9 Jahren dort lebt, hatte mich dann in Empfang genommen.Anschließend sind wir Essen gegangen und danach in die Kneipen bis in die Morgenstunden.
Kopenhagen kenne ich ja nun schon sehr gut und es ist eine sehr schöne Stadt.Ich bin ein großer Skandinavien Fan.Sonntag sind wir von Kopenhagen aus nach Schweden gereist für einen Tag.Es sind ja bis Helsingborg nur 40 km von Kopenhagen aus. Am Dienstag bin ich dann zurück nach Berlin gekommen und hatte eine schöne Woche gehabt.
Morgen möchte ich wieder einmal nach Ost-Berlin gehen zum „schwofen“.Wenn Du willst,dann schreibe mal was über Dich und was Du so machst.
Es grüßt Dich herzlich Thomas
Eggesin, d.29.08.88
Hallo, Ihr zwei!
Ich muß doch auch einmal zur Feder greifen, um ein paar Zeilen zu schreiben. Ich bin jetzt bis 28.10.88 hier in Eggesin zur Reserve. Vielleicht brauchte ich das mal. Wer weiß? Werde mich dann ab November auch wieder mehr sehen lassen. Im Moment arbeitet ihr wohl auch bloß mit halber Kraft. Bernd ist weg, Detlef K. zur Schule und Dirk in Halle. Wie ist der Zulauf im Arbeitskreis? Wohl recht unterschiedlich. Im Programm las ich, daß im November so eine literarische Veranstaltung geplant ist. Wenn noch jemand gebraucht wird, würde ich gerne wieder mitmachen und einige Sachen vortragen. Melde Dich doch mal bei mir. Theater muß ich ja jetzt auch 2 Monate sausen lassen. Es ist halt nicht zu ändern. Burkhart und ich würden Euch sonst auch mal besuchen. Am 10.09. und 17.09. wäre ich wohl in Rostock und wir könnten mal vorbeischauen. Nur, wenn es recht ist. Unseren ersten richtigen gemeinsamen Urlaub haben wir auch hinter uns. Hat Spaß gemacht. Die Wohnung ist jetzt auch renoviert. Die Leute sind im Haus ganz natürlich und auch ganz nett uns gegenüber. Schöner als Dirkow finde ich Lütten Klein auch. Ich schreibe noch die Adresse von Lütten Klein auf: (Ich lasse sie aber weg!)
Also, machts gut. Harald
Hallo Edeltraud!
Gestern lag Dein Brief im Kasten. Habe mich sehr darüber gefreut und ich bedanke mich. Eigentlich ist mir im Moment so gar nicht danach, Briefe zu schreiben, vielleicht lenkt das aber ein wenig von meinem Kummer ab, und ich möchte Dich auch nicht zu lange auf eine Antwort warten lassen.
Tante A. wartet bestimmt auch schon auf eine Antwort auf ihre viele Post.
Ich habe sehr viel Geduld, schon immer gehabt, besonders dann, wenn ich irgendein Ziel verfolgt habe. Wenn ich mir in bestimmten Situationen die Hintergründe klarmache und dadurch zu einem gewissen Grad an Einsicht und Verständnis gelange, dann gewinne ich dadurch noch weiter an Geduld. Ob ich aber wie Du, eingekeilt zwischen Edwin und Mutti, auf die Dauer das aushalten würde, was Du nun schon solange mitgemacht hast, bezweifle ich. Du solltest Dir deshalb auch keine Vorwürfe machen, wenn Mutti ins Heim einzieht. Für Dich und Edwin wird es bestimmt besser sein.
Ja, der Urlaub war schön, aber was danach kam, war es weniger. Soviel Kummer, soviel Tränen, soviel Flehen und Bitten hatte es noch nie gegeben. Und ich weiß nicht, wie das alles enden wird. Ich hoffe noch immer, daß alles wieder gut wird.
Mit Angst und Unlust gehe ich morgens zur Arbeit. Dort stand ich bis gestern unter einem unheimlichen Termindruck. Nun arbeite mal geistig, wenn du dich auf das, was du tun sollst, keine zwei Minuten hintereinander konzentrieren kannst, wenn die Gedanken immer und immer wieder nur zu dem einen Gegenstand zurückkehren, der die Ursache ist für die verquollenen Augen, den Kloß im Hals und das flaue Gefühl im Bauch. Zum Glück war Schwester Renate in Urlaub, so konnte ich hinter mir die Tür zumachen und brauchte mich mit niemanden unterhalten, worüber auch! Meine Probleme möchte ich nicht auf der Arbeit ausbreiten, wer weiß, was das für Folgen hätte. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob es klug ist, hier im Brief davon zu reden. Du hast selbst Sorgen genug, Du brauchst nicht auch noch meine. Irgendwann wollte ich mit Dir sowieso über das Thema reden. Mit Dir, nicht mit Edwin, ich weiß nicht, wie er reagieren würde. Ich hatte immer warten wollen damit, bis Mutti und Papa tot sind. Da Du aber vor einiger Zeit am Telefon so eine Bemerkung gemacht hast, die mich damals doch sehr erschreckte und mir nun glauben macht, Du ahnst, wovon ich rede, ist es mir in diesem Moment egal, was es nach sich ziehen mag. Ich bin ja bisher auch alleine damit fertig geworden. Vor zwei Jahren war es, glaube ich, da hatte ich mir schon einmal so einiges von der Seele geschrieben und an Olaf in Prenzlau gerichtet. Der hatte das Ganze mit erstaunlich viel Gelassenheit und Verständnis aufgenommen. Wir sind trotzdem noch Freunde.
Komme ich dann von der Arbeit nach Hause, bin ich voller Ungewißheit über das, was mich erwartet. Ich gehe morgens weg von zu Hause, nachdem ich in tränennasse Auge gesehen habe und ich komme nachmittags zurück und blicke als erstes wieder in tränenaufgelöste Augen. Ich weiß, ich bin schlecht und tue Unrecht. Aber kann ich dafür? Tut der Mensch nicht manchmal Dinge, die ihn hinterher gereuen, Dinge, die zu beeinflussen er nicht die Macht hat. So manches Mal stemmt sich das Herz mit aller Gewalt gegen die Entscheidung des Verstandes. Mancher ist schon zwischen zwei Fronten zerrieben worden. Es tut mir unendlich weh, Jochen so vor mir zu sehen, sich so in seinem Schmerz vor mir zu erniedrigen, zu bitten und zu flehen, ich solle ihn nicht verlassen. Ich kann mich nicht an viele Augenblicke in meinem Leben erinnern, in denen Tränen des Schmerzes über meine Wangen geflossen sind. Was ich solange versäumt hatte, habe ich in den letzten Tagen schmerzvoll nachgeholt. Es tut gut.
Über acht Jahre lebe ich jetzt mit Jochen zusammen. Wir haben so manche Krise überstanden, ja auch, aber es waren meine glücklichsten Jahre, auch wenn ich bisher nicht darüber sprechen konnte. In seiner Familie wurde zwar bisher auch nicht darüber gesprochen, aber ich gehöre seit Jahren dazu. Das alles soll nicht vorbei sein. Das habe ich ihm auch gesagt, er glaubt mir aber nicht. Ich könnte mir ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen. Und trotzdem quäle ich ihn so. Er leidet wirklich. Und trotzdem tue ich es. Obwohl ich mir selber damit Schmerzen zufüge. Wenn er dann so vollkommen aufgelöst und hilflos weinend, daß es mir das Herz aus der Brust reißen könnte, in meinen Armen liegt, dann überkommt mich manchmal zwischen all dem Trösten und Beteuern ein leichtes Gefühl des Hasses, dann könnte ich ihn in seinen Tränen liegenlassen und gehen. In solchen Momenten glaube ich, daß mich gerade sein Kummer von ihm abstößt. Zum Glück komme ich immer rechtzeitig wieder zu mir. Oft überlege ich mir, was ich an seiner Stelle getan hätte bzw. tun würde. Daß man in Situationen allergrößten seelischen Schmerzes kaum körperliche Schmerzen fühlt, habe ich schon ausprobiert. Ich war sehr überrascht, wie leicht einem das fallen kann. Aber es wird alles wieder gut, das verspreche ich mir.
Edeltraud, jetzt habe ich Dich auch noch mit meinen Sorgen beladen und mich dadurch auf unfaire Weise erleichtert. Du hast selbst genug Probleme. Meines ist siebzehn Jahre alt und heißt Thomas.
Ich würde mich freuen, wenn Du mir antwortest, egal wie die Antwort ausfällt. Aber rufe bitte nicht an.
Herzliche Grüße von Friedemann
Freitag, 19. August - Donnerstag, 1. September
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