Die Hoschköppe / 28. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 28. Kapitel

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Mittwoch, 7. September 1988


„Selbst wenn ein Hund das Gleiche frisst wie ich, kommt bei dem noch lange kein Menschendreck heraus!“

Eddi hatte angerufen und sich für 17 Uhr angekündigt, um die Trockenpresse zurückzubringen. Er fragte mich durchs Telefon, sodass es die ganze Welt mithören konnte, ob ich denn gar nicht mehr zum Arbeitskreis komme. Vorläufig jedenfalls nicht mehr, hatte ich darauf geantwortet, es gebe Probleme. Ob er helfen könne, wollte Eddi wissen. Als er später ein zweites Mal anrief, weil er des schönen Wetters wegen doch lieber an den Strand fahren wollte, da fragte er besorgt, ob denn noch alles stimme.
„Wenn man alles zusammenzählt?“, fragte ich zurück.
„Spinner! Zu Hause.“
„Nicht alles.“
„Rauft euch bloß wieder zusammen, sonst mach ich euch eine Szene.“
Eine Szene gab es, aber nicht von Eddis Seite, sondern später bei Jochen zu Hause.
„War Thomas gestern Abend noch bei dir?“, bohrte er.
„Nein! Was soll die Frage?“
„War er heute bei dir?“
„Nein. Hör auf mit diesen bohrenden Fragen, das bringt sowieso nichts. Ich werde dich doch immer belügen. Jedenfalls werde ich dir vorher die Hucke voll lügen, aber hinterher die Wahrheit sagen.“
„Und, war das eben die Wahrheit?“, wollte Jochen wissen.
„Jetzt ist ja hinterher!“
Jochen gab sich zufrieden. Er spekulierte darüber, ob Thomas gestern Abend zu Hause war, und wenn nicht, wo er wohl dann gewesen sein konnte. Bestimmt auf dem Wall! Und wie man das rausbekommen könne. Irgendwie werde er ihn schon austricksen. Jochen hatte eine ganze Weile sein Fenster beobachtet und keine Regungen bemerken können.
„Musst du ihn denn immer reinlegen wollen?“, beklagte ich.
Nach dem Abendessen saßen wir drei erstmal geraume Zeit so vor uns hin und starrten da Löcher in die Luft, wo schon genug waren. Thomas war noch während unseres Essens gekommen und hatte eine Stulle mitgegessen. Seit einiger Zeit tat er uns nämlich die Ehre an, Essbares anzunehmen. Tapfer ignorierte er die Gefahr, vergiftet zu werden.
„Ist das hier pisslangweilig“, konstatierte Thomas und schien sich dennoch wohlzufühlen, denn er lag quer im Sessel, seine Beine baumelten über der Lehne.
„Bei dir zu Hause ist es genauso. Da pisst es doch aus jeder Ecke“, konterte Jochen.
Wie es dann im Einzelnen weiterging, ist mir entfallen. Jedenfalls waren nach einiger Zeit die Plätze getauscht: Jochen saß dann dort, wo bislang Thomas gesessen hatte, der aber saß auf der Couch und an meiner Seite. So waren wir nun Jochens Angriffen gewissermaßen zu gleichen Teilen ausgeliefert. Vielleicht war ich gar nicht so sehr gemeint, vielleicht sollten die Anwürfe mehr den anderen treffen. Deshalb drückte ich mich die meiste Zeit ruhig in die grünen Polster. Nur wenn mir nichts passieren konnte, äußerte ich mich vorsichtig. Jochen rollte wieder den Montagabend auf, bewies Thomas, dass er lüge, warf ihm vor, dass er nicht ehrlich zugeben wolle, dass er schwul sei. Die Fetzen flogen hin und her. Es wurde nicht gespart mit vollen Breitseiten, eine stattliche Armada wäre daran zugrunde gegangen. Thomas ist in solchen Gefechten nicht wählerisch in seinen Waffen. Er gleitet rasch ins Unsachliche ab und wird beleidigend. Jochen platzte ganz ruhig der Kragen und wies ihm die Tür.
„Jetzt bleib ich erst mal eine halbe Stunde hier sitzen und starr dir in die Augen“, kündigte Thomas daraufhin gelassen an.
Er wollte eine Art Sitzblockade veranstalten, wie er sie wohl im Westfernsehen gesehen hatte. Angefangen hatte das Scharmützel damit, es fällt mir doch noch ein, dass Thomas mir erzählt hatte, und das in Jochens Beisein, der habe ihn zu Freitagnachmittag um 15 Uhr eingeladen. Jochen hatte damit Thomas lediglich auf die Probe stellen wollen, das gab er jetzt jedenfalls vor, die der nicht bestanden habe. „Jetzt weiß ich, wie der Hase läuft!“ Jochen war sehr aufgebracht.
„Mein Hase läuft nicht mehr, der ist längst abgeschossen“, sagte Thomas grinsend.
Es gab noch lange ein Wort das andere, bevor sich die Wogen geglättet und die Rauchschwaden verzogen hatten. Um halb 9 ging Thomas nach Hause. Ich auch. Obwohl Jochen mich gebeten hatte, noch zu bleiben. Eine Bitte war es eigentlich nicht, er befahl: „Du bleibst hier!“
Als Thomas und ich auf der Treppe waren, ging die Tür noch einmal auf: „Viel Spaß noch.“
Er konnte doch nicht im Ernst denken, dass Thomas mit zu mir gehen würde. Eine halbe Stunde später kam Jochen zu mir. Er warf mir Teilnahmslosigkeit vor, verstand nicht, wie ich dasitzen und zusehen kann, wenn Thomas ihn mit Dreck beschmeiße. Ich würde Thomas damit nur noch mehr Nahrung geben. Ob ich denn noch immer nicht merke, worauf der hinauswolle. Fertigmachen wolle der ihn, was er auch bald geschafft haben werde, wenn ich und Thomas so weitermachen würden. Jochen bat mich inständig, Thomas aufzugeben. Ich hätte vorhin bleiben sollen, und wenn es nur fünf Minuten gewesen wären.
Thomas hatte uns einmal prophezeit, wir würden ihn nicht wieder loswerden. So war es jetzt.
„Die ganze Nacht werde ich nicht schlafen können“, befürchtete Jochen.
„Du kannst ja hier schlafen“, bot ich ihm an.
„Du musst es wirklich wollen, dann ja“, sagte er. „Das Vertrauen zu dir ist hin.“
Ich kann ihn durchaus verstehen. Und das es ihn kaputtmacht, verstehe ich auch. Mich selber aber kann ich nicht verstehen und das macht mich kaputt. 24 Stunden am Tag, wenn nicht mehr, beschäftige ich mich mit Thomas. So was hatte es in meinem Leben noch nicht gegeben. Ich stecke Jochens Vorwürfe, Ängste und Befürchtungen ein, höre mir die Predigten betreten an, denn im Grunde hat Jochen ja recht, aber zu Herzen nehme ich mir kein einziges Wort.
„Wenn du am Montagabend nicht dazwischengekommen wärst, dann wäre die ganze Sache bestimmt schon längst erledigt gewesen. Er hätte gewusst, wie es ist, und ich hätte gewusst, wie er ist“, sagte ich.
„Träume ruhig weiter von Montagabend.“ Das waren seine letzten Worte, dann ging er.
Wenig später schnappte ich meine Klamotten, ging zu ihm, um die Nacht bei ihm schlafen, damit er morgen nicht allzu müde sein wird, wenn wir ins Theater wollen.



Dienstag, 6. September 1988 - Donnerstag, 8. September1988

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