Die Hoschköppe / 112. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 112. Kapitel

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Montag, 27. Februar 1989


Das außerordentlich schöne Wetter nutzend, fuhren Jochen und ich gestern nach dem Nachmittagstee das erste Mal in diesem Jahr mit den Fahrrädern raus ins Freie. Wir nahmen unsere alte Route, die wir schon unzählige Male zum Strand gefahren waren und die wir fast im Schlaf hätten finden können. Es waren sehr viele sonnenhungrige Leute unterwegs, denen es ausgerechnet nach frischer Seeluft gelüstete. Wir schlängelten uns mit den Rädern hindurch und hätten unser Endziel auch fast erreicht, wenn der nächtliche Regen nicht das letzte Ende des Weges dermaßen aufgeweicht hätte, dass es keinen Zweck machte, weiterzufahren. Unschlüssig standen wir neben dem Weg. Ich nutzte die Zwangspause, um mal kurz in die Sträucher zu verschwinden, währenddessen Jochen mein Rad vor einem Umsturz bewahrte. Als ich glücklich wieder zum Vorschein kam, begrüßte uns Gerd, der mit einem Bekannten auch einen Spaziergang machte.
„Man trifft hier auch immer dieselben“, stellte er schmunzelnd fest.
Ich setzte die Mütze ab und legte sie auf meinen Gepäckträger, denn mir war noch immer ganz schön warm von der körperlichen Anstrengung, die das Fahren mit eingerosteten Gelenken mit sich brachte. Gerd hatte seine Jacke weit geöffnet. Bis hierher waren er und sein Bekannter am Strand entlang marschiert. Ihnen hatte dort der lose Sand zu schaffen gemacht. Wir plauschten eine Weile und trennten uns dann in der Hoffnung, uns am Freitag im Arbeitskreis oder vielleicht in vier Wochen hier am Strand wieder zu sehen, dann würde wohl die Saison beginnen, wenn der Frühling so rasch fortschreite. Gerd und sein Bekannter waren weitergegangen. Jochen und ich wendeten die Fahrräder und schoben sie aus dem Modder heraus, in den wir uns hineinmanövriert hatten. Es dauerte nicht lange und wir waren wieder zu Hause. Das heißt, ich fuhr zu mir, um die Treppe zu wischen. Am Vormittag hatte ich nämlich durch Zufall einen bedauerlichen Irrtum festgestellt: Ich hatte am vergangenen Wochenende umsonst die Treppe sauber gemacht. Wo war denn da meine Nachbarin? Wenn ich es mal vergesse, was viel zu selten vorkommt, dann ist sie stets zur Stelle.
Im Briefkasten lag eine Karte aus Berlin von Lothar K., der sich für seine Fotos bedankte, und der Brief des Westberliner Thomas:

Hallo Friedemann!                                                                                                         Berlin, 10.02.89
Danke Dir für Deine Zeilen im Brief, den ich heute erhielt und ich möchte auch gleich antworten. Zugegeben war ich schon überrascht gewesen, doch noch Post von Dir zu bekommen. Es ist ja letzten Sommer doch alles anders gekommen mit dem Treffen in Rostock. Inzwischen war ich mal wieder in Rostock gewesen für einen Tag, als ich meinen dänischen Freund zur Fähre gebracht habe. Anschließend habe ich mich ins Cafe „Rostock“ gesetzt und habe mich nett unterhalten mit der Bardame und einem Heterotypen. Derzeit habe ich noch Urlaub, aber am Montag geht‘s dann wieder so richtig los mit dem Job. Ich hatte deshalb etwas Zeit und bin mit einem Freund nach Bayern gefahren und von dort aus dann nach Prag mit dem Auto. Eigentlich saßen wir nur im Cafe rum (Hotel Europa), aber wir haben dabei auch nette Leute getroffen, mit denen man gut reden konnte. Leider haben sie mir im „T-Club“ meine Brille gestohlen und darüber war ich sehr ärgerlich gewesen. Was soll‘s! Ansonsten war‘s recht nett dort in Prag. Ein Freund von mir aus Essen hat ein eigenes Reiseunternehmen und der traf sich in Prag mit einer Ostberlinerin. Es ist eine Med.-Studentin, die evt. in gewissen Abständen westdeutsche Touristen betreuen soll und auch ganz gerne möchte. Sie bekäme dann 50,- DM pro Tag und Hotel sowie einen Freibetrag von 30,- DM. Der Udo hat da keine Lust mehr, die Leute in Prag zu betreuen und nun soll das diese Margit aus Ostberlin machen.
Ich habe da trotzdem so meine Zweifel, ob das so alles machbar ist, denn schließlich ist sie ja DDR-Bürgerin. Ich nehme an, da wird‘s wohl Schwierigkeiten geben können, wenn das raus kommt.
So, nun zu Deiner Bitte bezüglich der Prospekte usw. Der Buchladen, eigentlich gibt es in Berlin mehrere schwule Buchläden, ist ganz in meiner Nähe. Sollte ich mal daran denken, gehe ich mal dort rein und besorge mal was an Unterlagen für Dich, ok!
Ich hoffe ja nun, daß der Winter jetzt nicht mehr kommt und ich freue mich auf den Frühling. Dann bin ich wieder viel draußen, auch im Garten. Also Friedemann, dann mach‘s mal gut und melde Dich ruhig mal wieder.
Thomas
P.S./ Übrigens was heißt denn hier „Du hast nichts verpasst“? Zwischen 30 u. 40 Jahren, das ist die schönste Zeit vom Alter her gesehen. Da stimmt die Reife u. Erfahrung eines Menschen. Außerdem hatte ich auch nicht vor, Dich anzuspringen in Rostock.



Freitag, 17. Februar 1989 - Sonntag, 5. März 1989

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