Die Hoschköppe / 46. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 46. Kapitel

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Sonnabend, 1. Oktober 1988


Da im Ergebnis meines ersten Versuchs lediglich acht Marmeladengläser mit Pflaumenmus gefüllt werden konnten und wir dies als gelernte DDR-Bürger, wollten wir wie die Hamster eine ordentliche Vorratswirtschaft betreiben, für nicht ausreichend hielten, begaben sich Jochen und ich gleich heute früh in die Kaufhalle, um weitere Pflaumen zu besorgen. Gab aber keine, was uns die Zeit bescherte, nach Schutow fahren zu können, um uns in den Messehallen umzusehen. Auch diese verließen wir, ohne uns von unserem schönen Geld trennen zu müssen. Von dort waren es bis zu Jochens Mutter kaum zehn Minuten Fußweg, an dessen Ziel uns ein üppiges Mittagsmahl erwartete. Es sei ihr jetzt ziemlich langweilig, da Kati und Roland aus dem Haus seien, und das Essen schmecke ihr alleine auch nicht so richtig. Kati werde aber Mittwochabend zu einem verlängerten Wochenende nach Hause kommen und Roland solle, nach einer wenig verlässlichen Auskunft der Reederei, voraussichtlich am achten Oktober, also in einer Woche, nach seiner ersten großen Fahrt hier einlaufen, werde aber wahrscheinlich nur für ein paar Tage bleiben können. Für seine Mutter, die am achten Oktober Geburtstag haben wird, wäre es das schönste Geschenk, wenn sein Schiff ihn dann an Land ließe. Jochen und ich werden auch dann bereits zum Mittagessen erwartet. Im Keller habe sich jemand aufgehängt, erzählte sie, während sie die Kartoffeln auf die Teller füllte. Bis nachts um zwei sei die Polizei im Haus ein und aus gegangen, habe man ihr erzählt, denn sie selber habe davon unglücklicherweise gar nichts mitbekommen.
Vollgefressen, wie wir waren, mussten wir uns beide zu Hause erst einmal der braunen Liege anvertrauen und eine volle Runde abruhen. Bevor Thomas in unser ödes Leben getreten war, fanden wir noch die Muße, dies öfter zu tun. Und weil es uns danach wieder besser ging, gab es Tee mit Zitronenkuchen. Ich ging dann zu mir nach Hause, um bis kurz vor sechs das Fenster abzudichten.
Abends hatten wir Besuch von Frank, weswegen es sich nicht vermeiden ließ, mit ihm zusammen Olympias Höhepunkte anzusehen. Sonnabends mussten wir eben mit allem rechnen. Nebenher durfte aber geschwätzt und ein Fläschchen Wein leergepichelt werden. Gegen zehn ging ich ins Bad, um ein Zeichen zu setzen, aber auch um mich zu waschen und die Zähne zu putzten. Ich tat dies, wie immer in Fällen von Verlegenheit oder höchster Not, besonders gründlich und ausdauernd, bis Jochen endlich nachsehen kam. Der fragte mich: „Bleibt Frank hier?“
„Ich dachte, du hättest die Betten schon fertig und ihn ausgezogen. … oder soll ich gehen?“
Ich glaubte, wir würden etwas zu dritt auf die Beine stellen. Nachdem Jochen zurück ins Zimmer gegangen war, trödelte ich noch eine Weile herum, zog mich dann doch lieber wieder an und ging zurück ins Wohnzimmer. Jochens Bett war bereits fertig zum Besteigen. Mein Bettzeug lag dagegen noch auf dem Sessel, weil Frank in Erwartung schwelgend auf der Couch saß. So nackt, wie er zur Welt gekommen war, saß er mit zwangsweise gespreizten Beinen da, denn sein Priapus hatte sich schon zur vollen Größe erhobener. Vor dessen Ungezogenheit möge sich jedermann warnen lassen, dieweil er mit Leichtigkeit in der Lage ist, unverhofft die gesamte Inneneinrichtung mit einer neuen Glasur zu überdecken. Dieser Priapus reckte sein entblößtes Haupt der Wohnzimmerleuchte entgegen, die über dem Tisch in der Zimmermitte von der Decke hängt und dem neugierig Dreinschauenden bedrohlich nahe kam. Da sie nicht eingeschaltet war, bestand aber keinerlei Gefahr. Auch Jochen hatte sich bereits ausgezogen.
„Willst du nicht auf die Liege gehen“, fragte ich, mich an Frank wendend, „dann kann auch ich mein Bett machen.“
Frank stand auf, hob seine Schranke an, damit ich unbehindert passieren konnte, und legte sich zu Jochen auf die Liege. Als ich mein Bett fertig hatte, zog ich mich wieder aus, kippte den restlichen Wein in Jochens Glas und krabbelte unter die eigene Steppdecke, die ich mir bis zum Hals hochzog. Eine Einladung, auch auf die Liege zu kommen, war mir wohl aus Platzgründen nicht zugegangen. Ich musste mir den blöden Film ansehen und damit vorlieb nehmen, hin und wieder vorsichtig den Kopf nach rechts zu wenden, mit dem Erfolg, dass ich von den beiden dank der vielen Kissen auf dem Stuhl nichts zu sehen bekam. Mein Herzklopfen angesichts der Ahnungen, die ich von den Vorgängen auf der Liege hatte, ging zum Glück in den begleitenden Filmgeräuschen unter. Meinen Schwanz, der kaum mehr zu bändigen war, klemmte ich gezwungenermaßen zwischen die Schenkel.
Als Frank schon eine Weile weg war, fragte Jochen: „Ist der denn nun schwul oder nicht?“
„Wird er wohl, sonst käme er ja nicht hierher.“ Das Licht war wieder aus und jeder lag in seinem Bett. „Kriege ich jetzt Thomas?“, fragte ich hinterhältig und drehte mich, ohne eine Antwort zu erwarten, zur Wand.

Freitag, 30. September 1988 - Sonntag, 2. Oktober 1988

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