Die Hoschköppe / 40. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 40. Kapitel

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Sonnabend, 24. September 1988


Gleich nach dem Frühstück brach ich auf, um bei mir zu Hause auf Meik zu warten, der pünktlich, aber ohne Anhang um neun Uhr dreißig eintraf. Bis halb zwölf hatten wir stramm mit dem Entwickeln der Pornos zu tun. Vor allem der kleine Meik, der nicht genug bekommen konnte und eingeengt von allen Seiten in der Badehose aus lauter Vergnügen an der Sache vor sich hin sabberte. Denn der große Meik hatte aus seinem Vorrat und aus Vorsicht die engste Badehose angezogen, die er finden konnte, um verräterische Bewegungen in seiner Hose zu vertuschen und somit keine unbedachten Handlungen zu provozieren. Dann musste er nach Hause, um seinen kleinen Bruder mit Mittag zu versorgen, wie er sagte. Bevor auch ich zum Essen ging, versuchte ich, vorerst den größten Schaden zu beseitigen, den mir Meik hinterlassen hatte. Krönender Abschluss seiner Arbeit als Entwicklungshelfer war das Herunterwerfen der Schale mit dem Fixierbad. Was muss man nicht alles in Kauf nehmen!
Nach dem Mittag brachte ich dann das Bad vollends auf Vordermann und trocknete anschließend die Fotos von Jochen, Thomas und mir selbst. Die Treppe musste auch noch gewischt werden. Eigentlich war ich noch gar nicht dran. Als Charlotte vormittags klingelte und mich darum gebeten hatte, denn ihr stecke der Pfeil irgendeiner kleinen Hexe im Kreuz, war ich meinem ausgeprägten Hang zur Nächstenliebe zum Opfer gefallen. Zum Nachmittagstee mit Birnenkuchen war ich dann wieder bei Jochen, der unvermutet allein und beim Lesen war. Danach pendelte ich noch einmal nach meiner Wohnung, um zwischen halb fünf und kurz nach sechs von einem weiteren Film die Abzüge zu fabrizieren, und zurück, wo ich noch immer keine gelben Schuhe im Korridor stehend vorfand. Jochen kam pitschnass auf mich zu, er war gerade wie Anadyomene bei Kythera der Wanne entstiegen, wo er sich nach einer selbst verordneten Gymnastikstunde den Schweiß abgespült hatte. Auch ich triefte vor Nässe, aber die hatte mir Nephele ganz selbstlos zukommen lassen.
Etwas später als gewöhnlich gab es Abendbrot. Danach sollte der Abend bei einer Flasche Wein ausklingen, die ich irgendwann und von irgendjemandem geschenkt bekommen hatte. Wir hatten unser Glas noch gar nicht berührt, als es klingelte. Jochen ging nachsehen und blieb geraume Zeit weg. Es war Thomas, der gekommen war. Worüber die beiden in der Abgeschiedenheit des Korridors sprachen, diskutierten oder stritten drang diesmal nicht bis zu mir vor. Jochen kam zwischendurch zwei-, dreimal ins Zimmer und sah mich fragend an. Thomas wollte sich anscheinend nicht dazu entschließen, in die gute Stube zu kommen und an unserem Abend teilzuhaben. Erst nach einer ganzen Spanne Ungewissheit und mehreren herzlichen Aufforderungen ließ sich seine Majestät herab, einzutreten. Er war noch immer in voller Montur. Jochen bot ihm von dem Wein an. Ersticken, oder so etwas Ähnliches, solle er daran, dankte Thomas in seiner netten Art ablehnend.
„Du kannst jetzt gehen“, bat ihn Jochen daraufhin in erstaunlich ruhigem Ton, „und wenn du nur herkommst, um zu stänkern, dann brauchst du nicht wiederzukommen.“
Thomas ging sofort.
Wir hatten schon nachmittags beim Tee über ihn gesprochen, auch über Raymond natürlich. Jetzt taten wir es wieder. Jeder trank nur das eine Glas aus. Der Wein schmeckte uns nicht mehr. Der Abend war verdorben.
Wenn Thomas vorhin wenigstens bei allem ernst geblieben wäre!, dachte ich. Sein unverschämtes Grinsen machte mich unsicher. Da ich noch Schlaf nachholen wollte, machte ich frühzeitig die Betten fertig. Wir waren beide schon ausgezogen, ich saß im Bett während Jochen noch im Bad zu tun hatte, als es erneut klingelte und Thomas einen Brief hereinreichte. Es war genau neun Uhr. Als Jochen endlich damit in die Stube kam und ihn mir reichte, meinte er, ich solle ins Bad gehen, wenn ich ihn lesen wolle. Er wollte vermeiden, dass im Zimmer noch einmal das Licht eingeschaltet werde.
„Aber besser wäre es, du bekämst ihn nicht zu lesen“, sagte er, „der ist wieder Wasser auf deine Mühle.“
„Hat Thomas verlangt, dass ich ihn nicht lesen soll?“, fragte ich besorgt, denn ich befürchtete, Thomas könne darin etwas ausgeplaudert haben, was mir teuer zu stehen kommen könnte, und das wiederum wäre mir sehr unangenehm.
„Nein, er hat keinerlei Bedingungen gestellt, jedenfalls nicht direkt.“
Ich ging mit dem Brief ins Bad.

    Hallo Ihr Fiecher!
Ich habe mal wieder das Bedürfnis, Scheiße abzulassen und Euch damit zugleich auf den
Sender zu gehen, ich weiß ja nun langsam, daß Ihr geil auf meine Briefe seid.
Nun hast Du mir also mehr oder weniger Deine Meinung dargelegt, darauf habe ich ja
geradezu gewartet. Aber das war ja nicht das erste mal, daß ich mit sowas hätte rechnen
müssen. Für Dich war es mal wieder ein Begehren, dem Du Luft gemacht hast. O Gott – jetzt
wird mir erst bewußt, ich würde Euch mit diesem (ohnehin jetzt unwichtigen) Brief die
aufregende Fernsehstunde versaun. Zugegeben, nett war ich vorhin bestimmt nicht,
aber das hatte seinen Grund. Streng doch bitte mal Dein Spatzenhirn an, vieleicht kommst
Du dann drauf. Bist doch sonst ein helles Köpfchen, wär doch ein Ding, sollte Dir das
nicht einfallen. Themawechsel: Hättest Du heute wirklich auf mich gewartet
oder etwas in der Art, hättest Du doch Dein Rollo auf „halb“ machen können, also kann
es so schlimm ja nicht gewesen sein. Oftmals habe ich schon gemerkt, daß Ihr auch
ohne einen Pohl sehr gut zu recht kommt, wenn nicht sogar besser, was ich sogar mehr
glaube, als das andere. Wohlweislich ist dies kein Thema für Dich, jetzt schon gar nicht.
Themen fangen bei Euch mit Sex an und hören höchstwarscheinlich auch damit auf.
Intriegen sind hier auf der Tagesordnung, einer gegen den anderen, sogut, wie es nur geht.
Und es, so scheint mir, läuft alles nach Plan. Ja, ich will sogar sagen, der Plan wurde
übererfüllt, wie in der Wirtschaft. Mit einem Unterschied, der aber sehr ins Gewicht fällt,
in der Wirtschaft wird etwas dafür getan, nämlich ehrlich gearbeitet, welch Gegensatz.
Aber ich komme ja vollkommen vom Thema ab. Wir waren bei Dir und Deinem
Liebhaber. So das war dann erstmal alles. Ihr dürft jetzt Euren komischen Wein
ausschlürfen und Euch Eurer Fernsehstunde witmen.
                                                                        Gruß, oder auch nicht, Thomas

Wer Streit sät, kann die Ernte gleich mitnehmen!
Herr, Du hast mir das Können genommen, nimm mir auch das Müssen!
Wer keine Angst hat, hat keine Phantasie!
Denk doch nicht dauernd an mich, ich will auch mal alleine sein!
Dein Bild auf der Tapete, und die Wanzen proben den Aufstand!
Wer lange gärt, wird endlich Wut!
Lieber hungrig, als die Schnauze voll!
Stell Dir vor, Du stellst Dich vor, und keiner stellt Dich ein!
Was keiner kann, kann ich auch!
Kleine Bosheiten erhalten die Feindschaft!
Hurra, wir sterben aus!
Nimm Dir Zeit und dann das Leben!
Es lebt der Mensch, solang er irrt!
Was Dich nicht juckt, kann andere kratzen!
Nie wieder immer!
     Man lernt nie, Aus!

Dieser ogottergebene Brief mit den erbaulichen Sprüchen im Anhang war Jochen sehr aufs Gemüt geschlagen. Laut spekulierte er über den Sinn und Unsinn jeder einzelnen Zeile. Am Ende glaubte er sogar, Thomas, auf eine Reaktion lauernd, draußen ums Haus schleichen zu sehen. Ich tat so, als verstünde ich den Inhalt des Briefes auch nicht. Die Anspielungen darin waren aber doch recht eindeutig. Lange Zeit konnten wir keine Ruhe finden. Grübelnd über den Brief und seinen Schreiber warfen wir uns im Bett von einer Seite auf die andere.
„Warum tut er mir das an, wo ich ihn doch so mag?“, hörte ich Jochen zu sich selber sagen.
„Vielleicht ist ihm das zu viel mit dem Geküsse?“, fragte ich vorsichtig.
Die Aufregung hatte weit durchschlagende Wirkung, denn Jochen musste zweimal auf die Toilette, bevor der erlösende Schlaf endlich die Oberhand über ihn gewann. Ich lag dagegen noch sehr viel länger wach und betete wiederholt zu Eros, er möge uns wohlgesinnt sein. Wen ich mir „uns“ meinte, würde Eros schon wissen!



Freitag, 23. September 1988
- Sonntag, 25. September 1988

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