Die Hoschköppe / 4. Kapitel - Abstrakte Irrwege

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Die Hoschköppe / 4. Kapitel

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Sonntag, 24. April 1988


Eine Woche relativer Ruhe liegt hinter uns. Der heutige Tag hat uns aber wieder einige Nerven gekostet. Besser so, als durch Alkohol. Am frühen Morgen ging's schon los. Wir lagen noch in den Betten, es ist schließlich Sonntag, als ein heller Lichtschein durchs Zimmer huschte. Das kann schon mal vorkommen, wenn irgendwo ein Fenster so bewegt wird, dass sich ein paar reflektierte Sonnenstrahlen in unsere Wohnung verirren. Für gewöhnlich haben wir bis mittags Schatten. Auch wenn dieses Lichtbündel nach kurzer Zeit noch einmal den Weg durchs Zimmer nimmt, haben wir noch lange keinen Grund, uns etwas dabei zu denken. Wir freuen uns vielleicht über diesen Morgengruß. Kehrt dieser Pfeil aber wieder und wieder zurück, als suchte er etwas in unserem Zimmer, dann ist das kein Zufall mehr. Jochen hob mit einem Verdacht den Kopf und fand sehr schnell des Rätsels Lösung. Solange es ihm die mitspielende Sonne erlaubte, hatte der da drüben seine helle Freude daran, uns zu blenden. Mit einem übergroßen Spiegel hatte er sich an seinem Fenster postiert.
Den Tag über war Ruhe, bis dann gegen 19.30 Uhr mehrere Male trockene Erdklumpen an unser Fenster flogen. Wenn wir dann aufgeschreckt zum Fenster rannten und raus sahen, war niemand zu erblicken. Wen wundert's. Immerhin, die Absicht, uns die Scheiben einzuschmeißen, schien derjenige nicht verfolgt zu haben. Aber dieses Spiel kannten wir bereits. Als vor Tagen sehr spät abends, es war schon stockfinster, Dreck ans Fenster flog, war ich wie eine Sprungfeder von der Couch hochgeschossen, um hinauszusehen. Draußen rührte sich nichts. Nach einer ganzen Weile erst wagte sich jemand zwischen den Sträuchern hervor, da, wo dieses Haus seinen Hinterausgang hat. Das Phantom blieb kurze Zeit auf dem Gehweg stehen, bevor es verschwand, sich auflöste. Erkannt hatte ich nichts.
20.50 Uhr klingelte es Sturm. Durch den Spion in der Wohnungstür war nur der Treppenaufgang zu sehen, der im Dämmerschein der Straßenbeleuchtung leer dalag. Um halb 10 klingelte es erneut. Jochen ging noch einmal zur Tür, um nachzusehen. Diesmal öffnete er sie vorsichtig und brachte dann von dort einen verschlossenen Brief mit. Auf dem Umschlag stand:

                                     An
                                                 Herrn Reger
                                                                Angela

                                         
Er gab mir das aufgerissene Kuvert, aus dem er in wütender Erregung ein kariertes Blatt Papier herausgezogen hatte. Es war das gleiche Papier, auf dem auch der erste Brief geschrieben war. Der Brief begann mit:

     Hallo Schatz!
Da ich gerade in Lichtenhagen bin, gehe ich gleich bei Dir vorbei,
um Dir guten Tag zu sagen. Wir haben uns schließlich 6 Wochen nicht
gesehen. Wir könnten uns ja mal wieder treffen oder Du kommst mal
wieder auf 'nen Sprung zu mir. Ich habe auch schon lange nicht
mehr mit Dir geschlafen. Wir haben da noch einiges nachzuholen.
Nächste Woche habe ich Frühschicht, Du kannst also ab 4.00 mal vorbeikommen.
Bist Du eigentlich noch mit Deinem Freund zusammen? Das soll für
mich jedoch kein Hindernis sein, mit Dir ins Bett zu gehen. Bringe
Dein D. mit! Es grüßt Dich ganz lieb
                           Deine Angela

Dieser Brief setzte allen Frechheiten die Krone auf. So empfanden wir es jedenfalls. Und während wir noch mit diesem Machwerk befasst waren, flogen die nächsten Dreckklumpen ans Fenster.



Freitag, 15. April 1988 - Dienstag, 26. April 1988

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